Wann sind Sanktionen bei Menschenrechtsverletzungen wirksam?

Am Beispiel Iran sieht man, was schlecht eingesetzte Sanktionen anrichten können – aber auch, wie es richtig gehen kann.

Sanktionen

Eine gewisse Hilflosigkeit des Westens ist nicht zu verkennen: Wie umgehen mit menschenverachtenden Regierungen? Militärische Interventionen sind nach den Erfahrungen in Libyen, im Irak und in Afghanistan aus guten Gründen ein Tabu der Außenpolitik geworden. Mal endeten sie in katastrophalen Bürgerkriegen, mal entpuppten sich die Menschenrechte als Vorwand, um eigene Interessen voranzutreiben. Und in jedem Fall hinterließen die militärischen Einsätze gewaltige Defizitkrater im Staatshaushalt.

Aber auch untätig zu bleiben, ist keine Option. Diplomatische Verhandlungen mit offen menschenrechtsmissachtenden Diktaturen können den Eindruck der Augenauswischerei oder gar der Komplizenschaft erwecken. Das Verhältnis westlicher Staaten zu Saudi Arabien steht beispielsweise seit Jahren in der Kritik.

Die größte Herausforderung für eine wertebasierte EU-Außenpolitik stellt aktuell aber die Islamische Republik Iran dar. Gerade war man noch dabei, mit Teheran ein neues Atomabkommen abzuschließen, da lässt die Regierung auf Protestierende schießen und Schüler:innen zu Tode prügeln, sie sperrt Journalist:innen in Einzelhaft und bedroht die Familien getöteter Demonstrierender, damit diese in der Öffentlichkeit von einer natürlichen Todesursache sprechen. Es gibt kaum eine Menschenrechtsverletzung, vor der das Regime in Teheran zurückschreckt, um die Proteste nach dem Tod von Dschina Mahsa Amini, einer jungen Frau, die mutmaßlich durch die Sittenpolizei getötet wurde, niederzuschlagen.

Als Reaktion darauf hat die EU bislang 126 iranische Personen und elf Organisationen, die direkte Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen im Iran tragen, mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt.

Im besten Fall erzeugen solche Sanktionen ausreichend Druck, um bei den Machthabern eine Verhaltensänderung herbeizuführen. In Wirklichkeit geschieht dies aber nur sehr selten – und manchmal erweisen sich Sanktionen sogar als kontraproduktiv. Wann Sanktionen wirksam sind und wie sie die Mächtigen treffen, erklärt euch dieser Beitrag.

Sanktionen der Wirtschaft treffen vor allem die Bevölkerung

Beim Sanktionieren des Regimes in Teheran gibt es ein Problem. Es sind bereits derart umfassende Sanktionen in Kraft, dass der Westen kaum Spielraum für weitere Strafmaßnahmen hat. Das sei ein grundlegendes Dilemma der Sanktionspolitik, sagt Bente Scheller, Referatsleiterin für Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung im Gespräch mit relevant.news: Hat man einmal alle Sanktionsmöglichkeiten ausgeschöpft, bleiben einem kaum noch weitere Druckmittel.

Verantwortlich dafür sind die umfassenden Wirtschaftssanktionen, die Donald Trump nach seinem unilateralen Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran im Jahr 2018 im Rahmen seiner „Politik des maximalen Drucks“ erlassen hat. Damit sollten ganze Wirtschaftszweige im Iran, etwa der Finanz- oder Energiesektor, lahmgelegt werden. Man nennt sie deshalb auch sektorale Sanktionen. Dazu kommen sekundäre Sanktionen, mit denen die USA sogar Akteure in Drittstaaten dazu zwingen, Trumps Politik umzusetzen: So müssen europäische Unternehmen, die mit iranischen Unternehmen weiterhin Handel treiben, selbst Sanktionen befürchten.

Auch Donald Trump begründete diese Politik unter anderem mit den Menschenrechtsverletzungen des Regimes. Doch die US-Sanktionen, welche die Führung des Irans schwächen sollten, trafen vor allem die einfache Bevölkerung. Sogar der Zugang zu lebenswichtiger Medizin wurde faktisch eingeschränkt, Millionen Diabetiker im Iran mussten teilweise tagelang ohne Insulin auskommen. Unterdessen bereicherten sich regimenahe Schmuggelbanden mit der illegalen Einfuhr von Medikamenten, Elektronikwaren und Markenartikeln ins Unermessliche.

Das Regime hat gelernt, mit konventionellen Wirtschaftssanktionen zu leben. Die Leidtragenden sind die Menschen.

Bente Scheller, Referatsleiterin für Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung

Die meisten Fachleute für Außenpolitik plädieren, wie Bente Scheller, für einen anderen Zugang. Anstatt die Wirtschaft eines Landes zu schwächen, sollten bei Menschenrechtsverletzungen gezielte, individuelle Sanktionen erlassen werden. Damit sollen diejenigen, die für die Repression verantwortlich sind, direkt getroffen und zugleich die einfachen Bürger:innen geschont werden.

Erprobt wurden solche gezielten Strafmaßnahmen gegen das Assad-Regime in Syrien. Zu den Sanktionen gehörten EU-Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten.

Das Beispiel Syrien hat gezeigt, dass ein diktatorisches Regime auf diese Art von Sanktionen empfindlicher reagiert als auf konventionelle Wirtschaftssanktionen.

Bente Scheller, Referatsleiterin für Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung

Zwar hindern solche Sanktionen ein Regime nur selten daran, weitere Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Das galt für Syrien genauso wie jetzt für den Iran.

Gezielte Strafmaßnahmen wirken auch auf andere Weise:

  • Täter:innen bekommen persönlich Konsequenzen für ihr Handeln zu spüren. Das hat nicht nur eine bestrafende, sondern auch eine abschreckende Wirkung. Andere Diktator:innen wissen, dass es auch für sie Folgen haben wird, falls sie gewaltsam gegen das eigene Volk vorgehen.
  • Die Signalwirkung an die Regimegegner:innen ist nicht zu unterschätzen. Die Iraner:innen schauen in diesen Tagen sehr genau darauf, wie sich Europa gegenüber ihren Peiniger:innen verhält. Im Gegensatz zu den USA genießen europäische Staaten im Iran ein hohes moralisches Ansehen. Doch ob dieses weiterhin Bestand hat, hängt auch davon ab, ob europäische Regierungen entschlossene Maßnahmen gegen das iranische Regime ergreifen oder nicht.
  • Diktaturen, die nicht nur im eigenen Land Widerstand erfahren, sondern auch nach außen isoliert sind, sind schwächer. Internationale Ächtung (unter anderem durch Sanktionen) ist der beste Weg, um eine Protestbewegung mit revolutionärer Stoßrichtung, wie im Iran, zu unterstützen.

Möglichkeiten und Grenzen von Menschenrechtssanktionen

Ein Nachteil gezielter Sanktionen besteht darin, dass sie aufwändig vorzubereiten sind und viel Recherche erfordert. Das verlangsamt die Reaktion, wie auch bei den EU-Sanktionen gegen Teheran zu beobachten ist. Die Umsetzung sei ebenfalls schwierig, gibt Bente Scheller zu bedenken, denn die Vermögenswerte, die eingefroren werden sollen, müssen erst identifiziert werden. Häufig führen Regimemitglieder ihr Auslandsvermögen unter anderem Namen.

Gerade die Vielseitigkeit und Komplexität individueller Strafmaßnahmen bietet aber auch einen wesentlichen Vorteil: die Möglichkeit, bestehende Sanktionspakete jederzeit auszuweiten und zu verschärfen.

Auch bei den individuellen Strafmaßnahmen gegen den Iran geht eindeutig noch mehr – trotz der bereits umfassenden Wirtschaftssanktionen Trumps. Seit Beginn der Proteste im Iran hat die EU mehr als hundert iranische Personen und Dutzende Organisationen sanktioniert. Zum Vergleich: Allein im iranischen Parlament haben 227 der insgesamt 290 Parlamentsmitglieder für die damals etwa 15.000 inhaftierten Demonstrierenden die Todesstrafe gefordert.

Auch eine genaue Überprüfung der iranischen Botschaften in Europa wäre laut Bente Scheller möglich: „Bei Botschaftsangehörigen, die in Europa geheimdienstlichen Tätigkeiten nachgehen oder gar Anschläge auf Oppositionelle planen, sollte klar sein: Solche Leute weisen wir aus.“

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