Wo ist Wiens „Coolness“ geblieben?

Die “coole Straße” war einst eine hochgepriesene Maßnahme gegen Hitze in der Stadt. In der Hasnerstraße hat sich eine Bürgerinitiative für die Fortsetzung eingesetzt und führt sie als “Grätzl Sommeroase” weiter.

Coole Straße

Geht man an einem heißen Tag durch die Hasnerstraße im 16. Bezirk, wandelt man durch eine kleine Sommeroase – nicht nur sprichwörtlich, sondern auch buchstäblich. Der Abschnitt zwischen Haymerlegasse und Habichergasse ist für den Verkehr gesperrt. Unter den Bäumen laden Sitzbänke und seit heuer auch die sogenannte “Hasnerlounge” zum Verweilen ein. Ein Trinkbrunnen sorgt für Erfrischung.

Während der Sommerferien, also dann, wenn es am meisten gebraucht wird, soll die Grätzl Sommeroase Anrainer:innen temporär als kühles Wohnzimmer zur Verfügung stehen. Dafür kämpfte die Gruppe rund um den Ottakringer Johann Schneider, als man 2021 genau das nicht mehr machen wollte. Um zu verstehen, was es damit auf sich hat, muss man zunächst in das Jahr 2019 zurück.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war vielen, so auch der damaligen grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, klar, dass Hitze vor allem im städtischen Gebiet ein großes Problem darstellt. 2018 gab es in Österreich mehr Todesfälle durch Hitze als durch Verkehrsunfälle. Mit dem Fortschreiten des menschengemachten Klimawandels lässt sich auch klar sagen: Hitzewellen werden in Zukunft noch häufiger und extremer auftreten. Um dem zumindest ein wenig entgegenzuwirken, wurden von der Stadt Wien die sogenannten coolen Straßen ins Leben gerufen.

Drei Straßen in den Bezirken Ottakring, Landstraße und Favoriten wurden im Sommer 2019 jeweils für eine vierwöchige Pilotphase temporär umgestaltet und verkehrsberuhigt. Autos und Parkplätze wurden in den betreffenden Abschnitten gegen Rollrasen, Bänke und Sprühnebel-Duschen eingetauscht. Ziel des Ganzen war es, Anrainer:innen an heißen Tagen eine Art kühles Wohnzimmer im Freien zu verschaffen. 

coole Straße
Straßen statt Grünflächen verstärken den sogenannten Hitzeinsel-Effekt. Beton und Asphalt kesseln die Hitze im dicht besiedelten Wien ein – und in den heißesten Grätzeln wohnen oft Menschen, die ohnehin am gefährdetsten sind.

Ausgewählt wurden die Standorte auf Basis der Wiener Hitzekarte. Diese zeigt nicht nur, an welchen Orten in Wien Abkühlung am dringendsten nötig ist, sondern gibt auch Angaben über die Bevölkerungsstruktur und zeigt somit, wo etwa viele Kinder und ältere Personen leben, die besonders vulnerabel sind. Die Hasnerstraße war eine davon. 

Bis zu 5,4 Grad Celsius kühler

Für Hebein zeigte die Pilotphase einen deutlichen Erfolg. Die damalige grüne Vizebürgermeisterin sprach von einer Kühlung von bis zu 5,4 Grad Celsius durch die gesetzten Maßnahmen. Die Zahl stützte sie auf eine Simulation, die Experten von Green for Cities durchgeführt hatten.

Demnach war in der Hasnerstraße im 16. Bezirk der Unterschied am größten: Bis zu 5,4 Grad kühler wurde die Straße durch die Maßnahmen gegen die Hitze. Die größte Abkühlung brachten die Sprühnebel-Maschinen. Ein Minus von 3,3 Grad Lufttemperatur gab es in der Hartmuthgasse im 10. Bezirk, und ein Minus von 1,3 Grad wurde für die Kleistgasse im 3. Bezirk berechnet. 

Auch die Meinungen der Anrainer:innen waren Thema und wurden von der Stadt Wien erhoben: Befragt wurden dafür insgesamt 518 von ihnen. 87 Prozent davon gaben in der Umfrage an, die Straßen „leiwand“ zu finden, berichtete Hebein damals. 92 Prozent habe es nicht gestört, dass durch die Initiative Parkplätze reduziert wurden. Die meisten Stellplätze, nämlich 28 fielen in der Hasnerstraße weg. 92 Prozent der Befragten wünschten sich zudem eine Fortsetzung des Projekts.

Coole Straßen werden ausgebaut

Im darauffolgenden Jahr wurden die coolen Straßen auch fortgesetzt. Statt drei wurden sie diesmal sogar auf 18 der 23 Wiener Bezirke ausgeweitet. Und statt vier Wochen blieben die coolen Straßen diesmal während der ganzen Sommerferien. Pro Straße wurden auch zwei Betreuer:nnen bereitgestellt, die AnrainerInnen für Fragen und Anregungen zur Verfügung standen sowie mehr Partizipation ermöglichen sollten.

Außerdem wurden im Herbst 2020 vier dauerhaft umgestaltete coole Straßen in der Phorusgasse, Goldschlagstraße, Pelzgasse und Franklinstraße errichtet. Neben technischen Maßnahmen wie Nebelduschen oder Wasserspielen, die kurzfristig für Abkühlung sorgen, wurden auch bauliche Eingriffe, wie Flächenentsiegelungen und Platz für zusätzliche Grünflächen mit neu gepflanzten Bäumen, für dauerhafte Änderungen durchgeführt. Diese vier Straßen werden von der Stadt Wien auch heute noch als Coole Straßen Plus weitergeführt.

coole Straße
Während in den Coolen Straßen Plus bauliche Maßnahmen umgesetzt wurden, ist die Sommeroase in der Hasnerstraße ein temporäres Projekt in den Sommerferien, das von den Anwohner:innen organisiert wird.

Bei der Auswahl der Straßen sei darauf geachtet worden, Orte in dicht bebauten Gebieten auszuwählen, in denen die kühlenden Maßnahmen ihre größtmögliche Wirkung entfalten, erklärt Erwin Forster von der für die coolen Straßen zuständigen Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau (MA 28):

Miteingeflossen sind auch Überlegungen, bei welchen Straßen es ohnehin Sanierungsbedarf gegeben hätte.

Das Aus für die coole Straßen

Sommer 2021 kommt dann allerdings das Aus für die coolen Straßen. Hebeins Prestigeprojekt überlebte, ebenso wie die Grünen, den Regierungswechsel in Wien nicht. Verkehrsstadträtin Ulli Sima, die das Amt nach der Wahl 2020 von Hebein übernommen hat, berichtete, dass die coolen Straßen zum Teil nicht so gut angenommen worden seien, wie erhofft. Die Kosten für die coolen Straßen wurden zur Gänze von der MA 28 gedeckt. Laut Rechnungshof waren das im Jahr 2020 rund 1,3 Millionen Euro.

Tatsächlich hatte es im zweiten Jahr der Umsetzung Kritik gegeben, weil es Probleme mit der Wasserqualität der Trinkbrunnen und Sprühnebel-Duschen gegeben hatte. Sechs der 18 Straßen mussten daraufhin geschlossen werden. Näher wurde das Aus aber nicht begründet. Heute heißt es auf Anfrage bei der MA 28, dass man den Fokus auf dauerhafte Maßnahmen wie Begrünung und Entsiegelung lege, anstatt temporäre Maßnahmen zu setzen.

Coole Straße auf eigene Faust

In der Hasnerstraße waren es allerdings genau diese temporären Maßnahmen, die man nicht missen wollte. “Viele fanden toll, dass es so etwas gibt und hatten sich auch schon daran gewöhnt”, so Johann Schneider. Der studierte Stadtplaner begann nach Bekanntwerden der Einstellung des Projekts im Bezirk zu mobilisieren und eine Petition für den Erhalt zu organisieren. Schon bald bildete sich eine Bürger:inneninitative. “Es fanden sich wirklich schnell Menschen dafür”, erinnert er sich zurück.

Innerhalb kürzester Zeit konnte er 500 Unterschriften – so viele braucht man, damit eine Petition auf Bezirks- oder Gemeindeebene behandelt wird – sammeln. “Die Bezirksvorstehung meinte, sie unterstützen uns. Zwar hatten sie kein Budget für das Projekt, allerdings halfen sie uns sehr bei der Organisation”, so Schneider.

Die coole Straße wird zur Sommeroase

Die Bezirksvorstehung Ottakring kümmerte sich um die Einreichung bei der für Verkehr zuständigen MA 46. Dadurch konnten Betonblöcke zur Absperrung der Radspur, Sitzmöbel sowie ein Trinkbrunnen organisiert werden. So konnte die coole Straße in der Hasnerstraße als Sommeroase weitergeführt werden. Eine Betreuung wie zuvor fiel jedoch aus Budgetgründen aus. 

Aus der Bürgerinitiative hat sich der Verein “O.N.E.16” gebildet, der die Oase seit 2022 organisiert. Rund zehn Personen gehören zum Kernteam, feste Strukturen gibt es keine.  Sie alle engagieren sich ehrenamtlich für den Verein und kümmern sich darum, dass die Grätzloase funktioniert. Das reicht von der Einholung der Genehmigungen, bis hin zu Begrünungen und zum Aufstellen von Verkehrsschildern. 

Von der lokalen Agenda 21, einem Verein zur Förderung von Bürger:innenbeteiligungsprozessen, finanziert von der Stadt Wien und dem jeweiligen Bezirk, bekommt O.N.E. 16 seit zwei Jahren im Rahmen des Programms “Junges Grätzl” eine Förderung. Damit finanziert man Bepflanzungen, Verkehrsschilder und alles, was sonst noch logistisch anfällt.

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Die Grätzl Sommeroase in der Hasnerstraße steht Anrainer:innen während der Sommerferien temporär als kühles Wohnzimmer zur Verfügung.

Einladung in die coole Straße

Eine Förderung vom Kulturbudget des Bezirks gibt es für die Hasnerstraße seit letztem Jahr auch. “Das verwenden wir für Veranstaltungen und um Künstler:innen zu bezahlen”, erklärt Schneider. Veranstaltungen und Events gehören zum Sommergrätzl nämlich dazu. Regelmäßig finden Kooperationen mit lokalen Künstler:innen und Initiativen aus dem Bezirk statt. Auf der Instagram-Seite und mit einem Mail-Verteiler informiert der Verein über alles Aktuelle.

“Wir sind offen für alle im Bezirk. Man kann immer zu uns kommen”, betont Schneider außerdem. Ihr Ziel sei es, alle Bevölkerungsgruppen im Grätzl zu erreichen. “So divers wie der Bezirk selbst sind wir leider trotzdem nicht“, räumt er ein. Auch seien die Maßnahmen in der Bekämpfung von Hitze limitiert und im Grunde nur ein Tropfen auf den heißen Stein. “Aber man wird nicht die ganze Stadt umbauen können”, betont Schneider. Denn wenn es im Sommer unerträglich heiß ist, mache auch etwas vermeintlich Banales, wie die Sommeroase, einen großen Unterschied in der Wahrnehmung der Anrainer:innen aus.

Gesamtkonzept essenziell

Klimatologe Simon Tschannett bringt hier gerne den Unterschied von Temperatur und gefühlter Hitze ein und erklärt:

Die Lufttemperatur kann relativ homogen über die Stadt verteilt sein, aber die gefühlte Temperatur ist ganz unterschiedlich. Diese kann sogar von Straßenseite zu Straßenseite unterschiedlich sein, weil es auf der einen Straßenseite Schatten gibt.

Genau hier können Maßnahmen wie die coolen Straßen und daraus resultierende Initiativen, wie jene in der Hasnerstraße, wichtig sein, findet er. Zur Bewusstseinssteigerung kann all das ebenfalls beitragen. Aber:  “Wirklich sinnvoll sind solche Maßnahmen vor allem dann, wenn sie in ein Gesamtkonzept eingebunden sind”, resümiert Tschannett. 

In Wien versucht man mit dem Hitze-Aktionsplan derzeit solch ein umfassendes Konzept umzusetzen. Neben Maßnahmen, die einen langfristigen Abkühlungseffekt auf die Stadt haben sollen, wie der Ausbau schattenspendender Grünflächen, sind darin auch Lösungen, wie die dreizehn coolen Stelen oder Coole Schiffe, die akut bei Hitze helfen sollen,  formuliert. Wie bei den coolen Straßen sind hier auch Sprühnebelduschen vorgesehen. Von der Verkehrsberuhigung ganzer Straßen ist man allerdings größtenteils abgekommen.

“Parkplätze sind natürlich immer ein großes Thema“, räumt Schneider ein. In der Hasnerstraße funktioniere es mittlerweile alles in allem aber gut. Was er sich für eine kleine Bürgerinitiative wie Hasnerstraße wünschen würde, wäre vor allem ein Budget und eine Koordinierungsstelle seitens der Stadt. Eine Finanzierung aufzustellen und sich durch den Dschungel an Bürokratie zu kämpfen, sei das Schwierigste für Initiativen wie in der Hasnerstraße. “Auch wenn sich mittlerweile alles halbwegs eingependelt hat, würde sowas vieles erleichtern”, sagt er.


Illustration: Titelbild/Karte Coole Straßen Plus: Fiona Wallatscher

Hitzekarte: Tim Wikkerink

Foto: O.N.E 16


Quellen & weiterführende Infos: 


Weiterlesen? Wie Athen mit den Auswirkungen von Hitzewellen umgeht und was Wien davon lernen kann.


Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung von der Stadt Wien – Kulturabteilung ermöglicht.



Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.


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