Gegen den stillen Tod

Menschen mit psychischen Erkrankungen sterben dreimal häufiger während einer Hitzewelle, aber kaum jemand spricht darüber. Zwei Frauen aus Athen wollen das ändern. Was kann sich Wien von ihnen im Umgang mit Hitze abschauen?

Hitze

Als vor zwei Jahren die Hügel um Athen brannten, der Rauch in die Stadt zog und man nur mehr mit FFP2-Maske das Haus verlassen konnte, begann in Griechenland ein klimapolitischer Umbruch: Das Land bekam ein Klimaschutzministerium und sein erstes Klimaschutzgesetz. Der Kohleausstieg wurde auf 2025 vorgezogen. In Klimaschutz-Rankings überholte man Österreich. Und im Sommer des Vorjahres wurde Eleni Myrivili als “Chief Heat Officer” von Athen eingesetzt.

Mittlerweile ist Myrivili für die Vereinten Nationen als “Global Chief Heat Officer” tätig. Bezahlt wird sie von der Arsht-Rock-Stiftung und der US-Denkfabrik Atlantic Council, die das Pilotprojekt in Athen, in Miami, auf UN-Ebene und in fünf weiteren Städten initiiert haben. Sie ist soetwas wie eine Hitzeschutzbeauftragte und “lobbyiert” gegen die Hitze, will für mehr Bewusstsein sorgen. Ebenso Elissavet Bargianni, die ihr in Athen nachgefolgt ist. Die beiden erzählen von Hitzewellen als “stillen Killern”, die man vergeblich in Todesstatistiken sucht. Besonders die Folgen für die mentale Gesundheit, etwa für Schizophrenie- oder Demenz-Erkrankte, seien nur Wenigen bewusst. Eleni Myrivili hat die tödliche Hitze vor zwei Jahren noch gut in Erinnerung:

Man hatte das Gefühl zu verbrennen, konnte die Luft kaum noch atmen.

Damals stand die Hitze zehn Tage über der Stadt. Tagsüber wurden 40 Grad Celsius und mehr gemessen. Auch nachts war es teils über 30 Grad heiß. Gefragt nach offiziellen Todesstatistiken, verneint Myrivili: Selbst die Stadt Athen müsse dafür ein spezielles Verfahren stellen. Die Behörden seien mit Statistiken vorsichtig. “Ich habe in keiner griechischen Zeitung einen solchen Bericht gelesen”, sagt sie. Etwas später schickt sie mir einen Artikel der US-Tageszeitung “Politico”. Darin ist ähnlich wie in der Corona-Pandemie die Übersterblichkeit berechnet, diesmal aber für die Hitze und bereinigt von Corona- und anderen Sterbefällen. Bis zu 2.300 Menschen könnten durch die Hitzewelle in Griechenland zwischen Ende Juli und Mitte August 2021 gestorben sein, lese ich. 1.400 alleine in der ersten Augustwoche.

An Hitze sterben mehr Menschen als bei Verkehrsunfällen

Hitzewellen sind die tödlichsten Extremwetterereignisse weltweit. In Europa verursachen sie über 100.000 Todesfälle pro Jahr. In Österreich sterben mehr Menschen infolge der Hitze als bei Verkehrsunfällen. Ist es heiß und die Luft feucht, wird es für den Körper immer schwieriger, seine Kerntemperatur auf 36 bis 37 Grad zu halten. Wir fangen an zu schwitzen, um uns abzukühlen. Dadurch erweitern sich die Blutgefäße, der Blutdruck sinkt und wir verlieren Flüssigkeit und Salze, was den Kreislauf besonders belastet. Das kann zu Hitzeerschöpfung, Hitzekrämpfen, Dehydrierung und Hitzschlag führen – und teils tödlich enden. Besonders gefährdet sind Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere, ältere Menschen sowie solche mit Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems, Diabetes oder Nierenerkrankungen und auch Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Demenz. Ihr Sterberisiko ist während einer Hitzewelle dreimal höher.

Die Todesfälle sind aber nur ein Teil des Übels. “Wenn jemand ins Krankenhaus kommt, weil er sich den Arm an einer Maschine abgeschnitten hat, fragt niemand, ob ihm wegen der Hitze schwindelig war oder er in der Nacht zuvor nicht schlafen konnte”, sagt Eleni Myrivili. Eine 2021 veröffentlichte Metastudie zeigt die Hitzefolgen auf die mentale Gesundheit: Mit jedem Grad mehr gibt es um 2,2 Prozent mehr psychisch bedingte Todesfälle und um 0,9 Prozent mehr psychische Erkrankungen und Unfälle im Zusammenhang mit Schizophrenie, Demenz oder Angststörungen.

An den heißesten Sommertagen müssen deshalb rund acht Prozent mehr Menschen ins Krankenhaus als an den kühlsten, wie eine Studie aus den USA zeigt. Zudem können bipolare Störungen durch die Hitze neu ausbrechen, und es steigt das Risiko für manische Episoden. Eine Studie aus Indien zeigt etwa, dass das Risiko für Depressionen und Angststörungen bei nur einem Grad mehr bereits um 24 Prozent steigt.

Besonders gefährlich ist es in Städten – dort, wo Beton auf Asphalt trifft und Parks sowie Wasserflächen weitgehend fehlen, wo es wenige Straßenbäume gibt und keine Kaltluftschneisen kühlen Wind durch die Stadt lassen. © Christopher Glanzl // MOMENT.at

Ein Klima-Leitfaden aus psychotherapeutischer Sicht

Kathrin Macha ist Klimapsychologie-Beauftragte der Psychotherapeutenkammer für das deutsche Bundesland Rheinland-Pfalz und hat an einem Klima-Leitfaden aus psychotherapeutischer Sicht mitgearbeitet. Die Hitze beeinflusse unsere Stimmung, Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden, erklärt sie. Zudem lasse unsere Konzentration nach. Eine Umfrage aus den USA mit zwei Millionen Teilnehmenden unterstreicht das. Viele empfinden bei Hitze weniger Freude, sind müde, gestresster und aggressiver – mit erschreckenden Folgen: Durch den Klimawandel könnte es in den USA alleine wegen der höheren Durchschnittstemperaturen bis Ende des Jahrhunderts schätzungsweise 30.000 zusätzliche Morde, 200.000 Vergewaltigungen und 3,2 Millionen Einbrüche mehr geben, warnt eine Studie.

Warum Menschen mit Demenz oder Schizophrenie besonders gefährdet sind, erklärt Kathrin Macha so:

Sie nehmen viele Psychopharmaka. Das reguliert die Körpertemperatur hoch und senkt das Durstgefühl, weshalb sie schneller dehydrieren.

Menschen die an schweren psychischen Erkrankungen leiden, hätten zudem häufig weniger Geld zur Verfügung, einen kleineren sozialen Kreis und eher niedrigere kognitive Fähigkeiten. Bei Demenz-Patient:innen kämen auch noch Verwirrungszustände hinzu.

Der Hitze einen Namen geben

Während der Recherche fallen einige Forschungslücken auf: “Es gibt keine kontrollierten Studien, die Menschen in extremer Hitze mit solchen in keiner Hitze vergleichen”, sagt Macha. Unklar sei auch, was sich bei Hitze physiologisch im Gehirn abspielt, wie die UN-Hitzeschutzbeauftragte Eleni Myrivili erklärt. Sie fordert mehr Forschung und schnellere Maßnahmen gegen die Hitze. “Man kann viele Leben retten, weil die Menschen nicht ausreichend verstehen, dass sie gefährdet sind. Das ist keine Raketenwissenschaft”, sagt Myrivili. Dann erzählt sie vom Herzstück des “Chief Heat Officer”-Projekts: Seit rund einem Jahr werden in Athen und in der spanischen Stadt Sevilla Hitzewellen nach ihrer Stärke kategorisiert.

Das kann man sich wie bei Hurrikans, Tornados oder Lawinenwarnstufen vorstellen. Droht eine Hitzewelle, werde sie in Kategorie 0 (“kein Risiko”), Kategorie 1 (“geringes Risiko”), Kategorie 2 (“mittleres Risiko”) oder Kategorie 3 (“hohes Risiko”) eingestuft, erklärt Myrivili. Die Kategorisierung übernehme der griechische Wetterdienst “meteo.gr”. Damit wolle man die Gefahr verdeutlichen. “Wenn wir vor einem Hurrikane der Kategorie 4 oder Kategorie 5 warnen, wissen alle, was gemeint ist. Bei Hitzewellen noch nicht”, sagt Myrivili.

Hitze besser verstehen

Für Kathrin Macha ist eine solche Kategorisierung sinnvoll, sofern Maßnahmen und Warnungen darauf ausgerichtet werden, wie gefährlich eine Hitzewelle tatsächlich ist. Die Menschen könnten so besser verstehen, was zu tun ist. “Wichtig ist, dass auch leichte Hitzewellen, also Kategorie 1, ernst genommen werden”, sagt Macha. Die meisten Unfälle und Todesfälle passieren beispielsweise bei Lawinenwarnstufe 3, wenn die Gefahr zwar “erheblich” ist, sie aber von einigen unterschätzt oder das eigene Können überschätzt wird.

Deshalb müsse man ausreichend informieren, wofür welche Warnstufe steht, rät Macha. Das sei besonders für ältere Menschen und Personen mit psychischen Erkrankungen wichtig. “Etwa mit Flyern in Arztpraxen, Schulungen und Tipps zur individuellen Prävention wie luftige Kleidung tragen, Hitze vermeiden, genügend trinken und schattige Plätze aufsuchen”, sagt die Klimapsychologin.

In Sevilla geht man noch einen Schritt weiter. Hier werden Hitzewellen von 1 bis 5 kategorisiert und mit Namen versehen. Bei Hurrikans und Orkanen ist das längst üblich. Einige Leser:innen werden beim Namen “Hurrikane Katrina” sofort an die dramatischen Bilder aus den USA von 2005 denken. Auch die Hitzegefahr soll so greifbarer werden. Sevilla benennt Hitzewellen in absteigender alphabetischer Reihenfolge: Zoe, Yago und Xenia hießen die ersten Hitzewellen, seit das Projekt im letzten Jahr gemeinsam mit der Arsht-Rock-Stiftung gestartet wurde.

Die Menschen reagieren anders, wenn es Namen gibt. Sie verstehen das besser.

UN-Hitzeschutzbeauftragte Eleni Myrivili

Sie kann sich auch für Athen solche Namen vorstellen. Ebenso Athens aktuelle Hitzeschutzbeauftragte Elissavet Bargianni. Sie ergänzt: “Wir sind noch nicht so weit. Das muss auf nationaler Ebene geschehen.”

Hitze
Wegen seiner kontinentalen Lage erhitzt sich Österreich in der Klimakrise doppelt so stark wie der weltweite Durchschnitt. © Christopher Glanzl // MOMENT.at

Was Wien von Athen lernen kann

Die “Chief Heat Officer”-Position ist in Athen in den städtischen Klimaaktionsplan integriert. Einen solchen gibt es auch in Wien, denn die Stadt will bis 2040 klimaneutral werden. Laut Büro des zuständigen Klimastadtrats Czernohorszky ist hier der Wiener Bereichsleiter für Klimaangelegenheiten der “Chief Heat Officer”. Diese Rolle hat seit 2021 Andreas Januskovecz inne. Januskovecz übernehme dieselben Aufgaben wie ein “Chief Heat Officer” und habe ähnliche Kompetenzen, heißt es. Es gibt also mehr Parallelen zwischen Wien und Athen als zunächst erkennbar.

Beiderorts gehen die Maßnahmen aber nicht weit genug. In Athen werden beispielsweise alleinstehende und ältere Menschen während einer Hitzewelle zu Hause aufgesucht. “Wir schauen bei rund 600 Häusern, ob es den Menschen gut geht, geben ihnen zu trinken und beraten sie”, sagt “Chief Heat Officer” Elissavet Bargianni. Bei 3,7 Millionen Einwohner:innen dürften es in Athen aber mehr als nur 600 Häuser sein, die besucht werden sollten. In Wien wird gerade über ein ähnliches Konzept nachgedacht. Allerdings sollen Ärzt:innen die Hausbesuche übernehmen. Diese sind jedoch schon seit der Corona-Pandemie an den Grenzen der Belastbarkeit. Zudem gibt es in vielen Spitälern einen akuten Personalmangel.

Man müsse daher die Nachbarschaftshilfe fördern, sagt Klimapsychologin Kathrin Macha. Auch der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter sieht diese gefordert. Bei der Nachbarin klingeln, einen Krug Wasser hinstellen und die Rollos herunterlassen, würde manchmal schon helfen, sagt Hutter. Er hat am Wiener Hitzeaktionsplan mitgearbeitet, der im Vorjahr veröffentlicht worden ist. In ihm sind 28 Maßnahmen gegen die Hitze beschrieben, darunter Hitzestandards am Arbeitsplatz, mehr Trinkbrunnen und Sprühnebel, ein verbessertes Hitzewarnsystem sowie zusätzliche Informationen und Schulungen.

13 der 28 Maßnahmen zielen auf besonders gefährdete Menschen ab – also etwa auf ältere Personen oder solche mit psychischen Erkrankungen. Die Stadt Wien will beispielsweise das Personal in Therapie- und Beratungseinrichtungen sowie in Kliniken für psychisch kranke Menschen besser über die Hitzegefahr informieren. “Gemeinsam mit den Psychosozialen Diensten Wien wird auch bei weiteren Maßnahmen ein Fokus auf die Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen gelegt”, erklärt die Stadt auf Anfrage. Ähnliches passiert in Athen. Beispielsweise werden Schulungen gemeinsam mit dem Roten Kreuz angeboten, sagt Hitzeschutzbeauftragte Elissavet Bargianni.

Cooles Athen, cooles Wien

Auch digital zeigt Athen Präsenz gegen die Hitze. Die Website “Cool Athens” (deutsch: “kühles Athen”) wird derzeit überarbeitet und soll später neben Griechisch auch auf Englisch über die Hitzegefahr aufklären. Die Hitzewarnstufen und ihre jeweilige Bedeutung sind auf der Website in gelb, orange, rot und dunkelrot eingefärbt. Für unterwegs wurde die App “Extrema” entwickelt.

Kühle Orte, Grünflächen, alle Straßenbäume und der Freundschaftsraum sind in einer Karte eingetragen.

Elissavet Bargianni

Der Freundschaftsraum ist ein klimatisierter öffentlicher Raum, der von morgens bis abends um 20 Uhr geöffnet ist. Es gibt ihn in jedem der sieben Stadtbezirke Athens. “Die Menschen können dort zusammenkommen, Wasser trinken und sich abkühlen. Das Projekt ist sehr erfolgreich, vor allem für ältere und alleinstehende Menschen”, sagt Bargianni. Auch Klimapsychologin Kathrin Macha sieht den Freundschaftsraum als einen wichtigen Teil einer größeren Informations- und Anpassungsstrategie, die auch anderswo umgesetzt werden könnte.

In der App “Extrema” gibt es ein Dashboard, das über die Hitze informiert – ähnlich wie bei Wetter-Apps. Die Hitzewarnstufen sind derzeit noch nicht integriert. Man kann die App mit Daten über das eigene Alter oder chronische Erkrankungen füttern und erhält darauf abgestimmte Tipps und Informationen. Ab einer Temperatur von 31°C kommt eine Push-Benachrichtigung als Warnung aufs Handy. Neben Athen gibt es die App mittlerweile für Mailand, Paris und Rotterdam.

In Wien gibt es mit “Cooles Wien” eine ähnliche App. Hier sind ebenfalls kühle Orte, Trinkbrunnen, Nebelduschen, Schwimmbäder und Parks eingetragen. Anders als für Wien lässt sich in der App für Athen aber nicht nur der schnellste Weg dorthin auswählen, sondern auch der kühlste. Die App sei hilfreich, weil sie niederschwellig ist, meint Klimapsychologin Kathrin Macha. Allerdings nur für bestimmte Personengruppen: “Nicht alle können oder wollen Apps nutzen und manche haben kein Handy”, so Macha. Deshalb brauche es dieselben Informationen auch auf anderen Kanälen: im Radio und im TV, auf Plakaten, Schildern und in Broschüren.

In jedem der sieben Stadtbezirke Athens gibt es zudem ein Hilfszentrum, das während einer Hitzewelle zum Zufluchtsort wird. Die siebte Klinik werde im Juli fertig sein, sagt Elissavet Bargianni. Es gebe auch eine Hotline, bei der die Menschen anrufen und Hilfe bekommen können. Diese funktioniert ähnlich wie das Hitzetelefon in Österreich: Während der Hitzesaison kann man hier bei 050 555 555 anrufen und bekommt rund um die Uhr persönliche Ratschläge. Alternativ ist auch die Gesundheitsberatung unter 1450 erreichbar.

Österreich könnte alle zehn Jahre um ein halbes Grad heißer werden

Bewusstsein schaffen ist der erste Schritt. Letztlich braucht es aber effektive Maßnahmen. Vorlagen dafür hat Eleni Myrivili als “Global Chief Heat Officer” gemeinsam mit der Arsht-Rock-Stiftung ausgearbeitet. Man findet sie auf einer Hitzeschutz-Plattform der Stiftung. Die Plattform soll Städten und Gemeinden helfen, einen eigenen Hitzeaktionsplan zu entwickeln, wie es ihn in Athen und Wien bereits gibt. Trotzdem geschehe zu wenig, kritisiert die Klimapsychologin Kathrin Macha:

Es gibt zwar viele Hitzeschutzpläne, aber sie müssen auch flächendeckend umgesetzt werden.

Gerade in Psychiatrien, wo Menschen mit psychischen Erkrankungen behandelt werden, gehen die Pläne nicht weit genug oder fehlen ganz, kritisiert sie.

Vor allem aber, sagt Macha, müsse mehr gegen die Ursache unternommen werden: gegen die globale Erderhitzung. Wegen seiner kontinentalen Lage erhitzt sich Österreich in der Klimakrise doppelt so stark wie der weltweite Durchschnitt. Schon jetzt ist es um über zwei Grad heißer und wenn wir weiter so viel CO2 und andere Treibhausgase in die Luft blasen, wird es alle zehn Jahre um fast ein halbes Grad heißer werden. Wien ist zudem eine der hitzeanfälligsten Städte Europas – ähnlich wie Athen. Dort sterben pro Grad fünf Prozent mehr Menschen an Hitze. Jeder dritte Hitzetod weltweit ist auf die bisherige Erderhitzung zurückzuführen, zeigt eine Studie im Fachmagazin “Nature Climate Change”. Anders gesagt: Ohne Klimawandel könnten jährlich rund 100.000 Hitzetote verhindert werden.

Besonders gefährlich ist es in Städten – dort, wo Beton auf Asphalt trifft und Parks sowie Wasserflächen weitgehend fehlen, wo es wenige Straßenbäume gibt und keine Kaltluftschneisen kühlen Wind durch die Stadt lassen. Dort, wo eher sozial benachteiligte Personen leben, die sich höhere Mieten nicht leisten können. Das sind besonders oft Menschen mit Migrationsbiographie, ältere Menschen und solche mit psychischen Erkrankungen. In Wien ist das nicht anders als in New York oder Athen. Wer es sich leisten kann, sollte deshalb bei der Wohnungssuche einen Blick auf die Wiener Hitzekarte werfen und schauen, wie stark sich das eigene Grätzl aufheizt.

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Straßen statt Grünflächen verstärken den sogenannten Hitzeinsel-Effekt. Beton und Asphalt kesseln die Hitze im dicht besiedelten Wien ein – und in den heißesten Grätzeln wohnen oft Menschen, die ohnehin am gefährdetsten sind.

Ein kühler Weg

Die Stadt Wien muss sicherstellen, dass Menschen unabhängig von ihrem Einkommen und sozialen Status vor der Hitze geschützt werden. Es braucht mehr als nur Nebelduschen, Trinkbrunnen und eine App, um das prognostizierte Worst-Case-Szenario zu verhindern: 1.111 Hitzetote jährlich im Jahr 2030, 2.600 in 2050 und bis zu 3.800 Todesfälle in 2100, wie eine Studie der Universität Graz warnt. Diese rechnet auch die Kosten des Nichthandelns vor: Bis 2030 drohen Wien ohne zusätzliche Anpassungsmaßnahmen Schäden von rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Bis 2050 könnte sich der Schaden verdoppeln. Die aktualisierte Studie warnt gar vor einem jährlichen Schaden von 15 bis 20 Milliarden Euro für ganz Österreich.

Um sich an die zunehmende Hitze besser anpassen zu können, gibt es in Athen einen 162-seitigen Leitfaden. Dieser soll bald auch auf Englisch verfügbar sein. “Wir führen ein Programm mit der Europäischen Investitionsbank durch, um mehr grüne und kühle Korridore in der Stadt zu schaffen”, erklärt Elissavet Bargianni, die zugleich Professorin für Landschaftsgestaltung ist. Sie meint damit Korridore für einen möglichst kühlen Weg durch die Stadt, die man sich in der App bereits anzeigen lassen kann.

Ältere Menschen und solche mit psychischen Erkrankungen kommen über diese kühlen Korridore sicher zu einem der klimatisierten Freundschaftsräume oder in nahegelegene Parks. Für sie ist es ungleich schwieriger, ihrer überhitzen Wohnung zu entfliehen.

Grünflächen alleine sind aber nicht genug.

Elissavet Bargianni

Es brauche vor allem mehr Wasser. So sei etwa der Nationalgarten von Athen der kühlste Ort der Stadt, weil er von vielen Kanälen durchzogen ist. Fließendes Wasser kühle zudem besser als stehendes, erklärt sie. An solchen Orten kommen die Menschen zusammen und schauen aufeinander. Das kann Leben retten, wie eine Studie zur Hitzewelle 1996 in Chicago zeigt: In der Nachbarschaft Auburn Gresham starben damals um ein Drittel weniger Menschen als in Englewood, weil es mehr öffentliche Plätze und Initiativen für eine bessere Gemeinschaft gab und die Menschen deshalb besser aufeinander schauten.


Tipps für einen besseren Umgang mit Hitze zum Ausdrucken findest du hier.


Fotos: Christopher Glanzl // MOMENT.at // CC-BY-SA 2.0

Illustration: Tim Wikkerink


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