Warum Sevilla Hitzewellen kategorisiert und benennt

Hitzewellen sind die tödlichsten Extremwetterereignisse der Welt. Doch viele unterschätzen die Gefahr. In Sevilla will man gegensteuern, indem Hitzewellen wie Hurrikans, Tornados und Lawinenwarnstufen kategorisiert und benannt werden. Eine Idee auch für Wien?

Hitzewellen


Ende April wird in Sevilla eine Woche lang gefeiert und Flamenco getanzt. Männer tragen schwarze Anzüge, viele Frauen rote, bodenlange Kleider mit Rüschen. Die Pferde sind geschmückt wie Kühe beim Almabtrieb. Hunderttausende Menschen nehmen teil am Volksfest “Feria de Abril” im Süden Spaniens – im „Iberischen Ofen”, einem der heißesten Orte Europas.

Im Jahr 2023 kam die Hitze ungewöhnlich früh. Am Mittwoch 26. April – wurde der alte April-Rekord mit 36,4 Grad gebrochen und erneut am Donnerstag mit 36,9 Grad. Ohne den Klimawandel wäre eine derartige Hitzewelle “beinahe unmöglich” und zumindest um zwei Grad kühler gewesen, wie eine Studie der Initiative World Weather Attribution zeigt. Für die Feria wurde deshalb das Gesundheitspersonal aufgestockt und eine Wasserverteilungsstelle eingerichtet. Der Tierschutzdienst mahnte, den Pferden regelmäßig Wasser zu geben und Pausen einzuhalten. Doch das Frühwarnsystem der Stadt blieb still.

Hitzewellen werden im Klimawandel tödlicher

Sevilla ist die erste Stadt weltweit, die Hitzewellen kategorisiert und sie wie Hurrikans und Tornados benennt. Damit soll mehr Bewusstsein für das tödlichste Extremwetterereignis der Welt geschaffen werden. Alleine in Europa sterben in heißen Sommern über 100.000 Menschen an der Hitze. In Österreich sind es meist mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle. Warum gab es aber trotz Rekordtemperaturen keine Warnung? “Die Menschen sind daran gewöhnt”, sagt der Physiker José María Martín Olalla von der Universität Sevilla. Es müsse mehrere Tage lang über 41 Grad heiß sein, damit das System anschlägt.

Olalla berät das vom Arsht-Rock Resilience Center  finanzierte Pilotprojekt, das im Vorjahr gestartet wurde. Aus drei Warnstufen sind mittlerweile fünf geworden: kein Risiko (Kategorie 1), geringes Risiko (Kategorie 2), mittleres Risiko (Kategorie 3), hohes Risiko (Kategorie 4) und sehr hohes Risiko (Kategorie 5).

Ein Kategoriensystem mit 5 Stufen könnte in Metropolen zukünftig beim Umgang mit Hitzewellen zur Anwendung kommen.

  • Ist es heiß und die Luft sehr feucht, wird es immer schwieriger, unseren Körper durch Schwitzen abzukühlen.
  • Wir verlieren Flüssigkeit und Salze, die Blutgefäße weiten sich und der Blutdruck sinkt. Das kann zu Hitzeerschöpfung, Hitzekrämpfen, Dehydrierung oder Hitzeschlag führen – und teils tödlich enden.
  • Besonders gefährdet sind Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere, ältere Menschen sowie solche mit Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems, Diabetes oder Nierenerkrankungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Diese Menschen sollten bereits bei geringem Risiko die Hitze meiden. Spätestens bei hohem und sehr hohem Risiko wird es auch für gesunde Menschen lebensbedrohlich, wenn sie längere Zeit im Freien verbringen. “Es braucht mehrere Tage über 45 oder 46 Grad für Kategorie 5”, erklärt Olalla. So heiß wird es selbst in Sevilla kaum. Die höchste je gemessene Temperatur lag bei 47,0 Grad im August 1946.

Hitzewellen
Vergleich der Hitzetage in den vergangenen 50 und der Tropennächte der vergangenen 30 Jahre in Österreich.

Eine Hitzewelle namens Zoe

Bei den Kategorien 4 und 5 bekommt die Hitze auch einen Namen. Letztes Jahr wurden nach absteigender alphabetischer Reihenfolge die Namen Zoe, Yago, Xenia, Wenceslao und Vega vergeben. Mit über 43 Grad war Zoe die erste Hitzewelle, die das Frühwarnsystem registrierte. Die Stadt wurde angehalten, “maximale Vorsorgemaßnahmen” zu treffen. Auch nachts blieb es ungewöhnlich heiß. In sogenannten Tropennächten schlafen wir schlechter, weshalb wir dann tagsüber müde, gestresst und teils aggressiver werden. Mehrere Studien belegen, dass während einer Hitzewelle mehr Morde, Suizide und andere Straftaten verübt werden.

Durch den Klimawandel ist es in Europa bereits um rund zwei Grad heißer geworden. Geht es weiter wie bisher – also ohne nennenswerte politische Fortschritte – wird es alle zehn Jahre um ein halbes Grad wärmer werden. Derzeit steuert die Welt auf fast 3 Grad Erderhitzung zu. Spaniens Städte könnten dann im Sommer 2050 um bis zu 6 Grad heißer werden, Wien gar um 7,6 Grad, wie eine Studie der ETH Zürich zeigt. Hitzewellen könnten dann doppelt so lange wie heute andauern. Damit wird klar, wieso erst bei ungewöhnlich hohen Temperaturen kategorisiert und benannt wird.

“Das Projekt ist langfristig gedacht, um Sevilla auf die Zukunft vorzubereiten”, sagt Olalla.

Auch in Athen und in einigen Städten der USA werden Hitzewellen im Projekt des Arsht-Rock Resilience Center kategorisiert. Die Namensgebung in Sevilla ist allerdings einzigartig. Das wird vermutlich noch länger so bleiben.

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) spricht sich gegen eine Kategorisierung und Namensgebung aus: “Unabhängige Praktiken zur Einstufung und Benennung von Hitzewellen, die nicht mit den offiziellen Warnsystemen koordiniert werden, können die Katastrophenschutzprotokolle und Koordinierungsbemühungen stören, unbeabsichtigte negative Folgen haben oder die Wirksamkeit der etablierten Hitzewarn- und Reaktionsmaßnahmen verringern”, heißt es in einer Aussendung aus dem Vorjahr.

Pilotprojekte sollten daher mit den offiziellen Hitzewarnsystemen eines Landes koordiniert werden. Dieses wird in Sevilla von der spanischen Wetterbehörde AEMET betrieben, die auch am Pilotprojekt beteiligt ist. AEMET befürchtet keine Störungen dadurch, da sich das Warnsystem von proMETEO auf Sevilla beschränkt.

Expert:innen aus der Klimaforschung, der Sozial- und Verhaltensforschung, aus dem Gesundheitsbereich und der Katastrophenhilfe beraten das Projekt. Zudem greift man auf viele Datensätze von AEMET zu.


In einer Studie der ETH Zürich wurde der Temperaturanstieg in Metropolen mit denen anderer, deutlich wärmerer Städte verglichen. Die (optimistische) Prognose: In 30 Jahren wird Wiens Klima dem aktuellen Skopjes gleichen.

Wien so heiß wie Skopje

Wenn Wien um bis zu 7,6 Grad heißer wird, dann droht der Stadt ein Sommer wie im viel südlicher gelegenen Skopje. In der nordmazedonischen Stadt oder auch in Sevilla sind die Menschen aber an höhere Temperaturen gewöhnt. Es wachsen hitzeresistente Bäume und Sträucher und mittags wird Siesta gehalten. Klimaexperte Olalla schätzt, dass ein Warnsystem wie in Sevilla hier bereits bei mehreren Tagen über 36 Grad anschlagen müsste.

Eine Kategorisierung und Benennung von Hitzewellen sei in Wien aber “derzeit nicht angedacht und mache auf Bundesebene mehr Sinn”, erklärt das Büro des zuständigen Klimastadtrats Jürgen Czernohorszky. Im Sommer werde man ein eigenes Hitzewarnsystem testen und weiterentwickeln. Auch auf Bundesebene sei keine Kategorisierung und Benennung angedacht, erklärt das Klimaschutzministerium. Laut GeoSphere Austria (früher ZAMG) – zuständig für Hitzewarnungen in Österreich – arbeite man gerade an einer standardisierten Definition von Hitzewellen im deutschsprachigen Raum. Dann wäre eine Kategorisierung “prinzipiell möglich”. Aktuell gebe es aber “keine konkreten Aktivitäten” in diese Richtung.

Hitzewellen
Straßen statt Grünflächen verstärken den sogenannten Hitzeinsel-Effekt. Beton und Asphalt kesseln die Hitze im dicht besiedelten Wien ein – und in den heißesten Grätzeln wohnen oft Menschen, die ohnehin am gefährdetsten sind.

Gute Intentionen lösen das Problem nicht

Die Hitze zu kategorisieren und zu benennen könne sehr hilfreich sein, wenn eine Institution wie die GeoSphere Austria das offiziell einstuft, meint Moritz Gruber von den Psychologists4Future Österreich.

Er rät zu einer Art Bedienungsanleitung: Was muss ich tun, wenn diese oder jene Kategorie eintritt? In Sevilla werden solche Ratschläge von den zuständigen Behörden weitergegeben. Sie sind allerdings nicht direkt an die jeweilige Hitze-Kategorie gekoppelt.

Mit dem Wiener Hitzeaktionsplan, der App “Cooles Wien”, dem Hitzetelefon unter 050 555 555 und sogenannten “Coolspots” wie Sprühnebel, Trinkbrunnen und Badeplätzen wird in Wien zwar einiges gegen die Hitze unternommen. Man wird aber auch über große bauliche Veränderungen nachdenken müssen, um das prognostizierte Worst-Case-Szenario abzumildern: 1.111 Hitzetote jährlich im Jahr 2030, 2.600 in 2050 und bis zu 3.800 Todesfälle zu Ende des Jahrhunderts. Bis 2030 droht der Stadt zudem ohne zusätzliche Anpassungsmaßnahmen ein Schaden von bis zu einer Milliarde Euro jährlich, wie eine Studie der Universität Graz errechnet hat.

Angesichts dessen spricht Moritz Gruber von “Scheinmaßnahmen” wie etwa Sprühfontänen in der Neubaugasse. “Das sind gute Intentionen, aber dadurch wird das Problem nicht gelöst”, sagt Gruber. Man müsse mehr auf den Verkehr schauen, denn sowohl fahrende als auch stehende Autos würden die wahrgenommene Hitze beeinflussen. Straßen statt Grünflächen verstärken den sogenannten Hitzeinsel-Effekt. Beton und Asphalt kesseln die Hitze im dicht besiedelten Wien ein – und in den heißesten Grätzeln (ersichtlich auf der Wiener Hitzekarte) wohnen oft die, welche ohnehin am gefährdetsten sind: ärmere und ältere Menschen oder jene mit psychischen Erkrankungen, deren Sterberisiko während einer Hitzewelle dreimal höher als im Durchschnitt ist. “Da hat Wien einiges nachzubessern”, sagt Gruber.

In Sevilla werden solche Ratschläge von den zuständigen Behörden weitergegeben.

Illustrationen: Tim Wikkerink

Eine Anmerkung zur spanischen Wetterbehörde AEMET wurde auf Bitte von proMETEO Seville nachträglich eingefügt.

Weiterlesen: Kein anderes Land verbraucht im Verhältnis zu seiner Fläche so viel Boden wie unsere kleine Alpenrepublik. Wie lässt sich das eindämmen? 


Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert