Pflanzt Bäume auf die Felder!

Bäume auf Weiden und Feldern waren einst weit verbreitet. Dann mussten sie Platz für Traktoren und andere Maschinen machen. Nun entdecken Landwirtinnen und Landwirte Agroforst-Systeme als Booster für Biodiversität wieder. Wir haben nachgefragt, was über und in der Erde passiert, wenn Forst- und Landwirtschaft eine Gemeinschaft eingehen.

In seinem Geländewagen rattert der Salzburger Landwirt Rudolf Rosenstatter über unebene Wege am Rande seiner Felder vor Nussdorf am Haunsberg bei Salzburg. Er steuert auf einen Streifen zu, der wild und ungepflegt aussieht. Dort ragen Bäume meterhoch in die Luft. Esche, Ahorn, Walnuss. Darunter recken sich Holunder- und Haselnusssträucher der Herbstsonne entgegen. Dahinter beginnt gleich das nächste Feld, das sich über mehr als 100 Meter erstreckt, bis erneut ein Streifen Grün eine Grenze zieht. Rosenstatter bremst, springt aus seinem Wagen, rückt den grün-braunen Filzhut zurecht und lässt den Blick schweifen. Voll Stolz erzählt er: 

Früher ist zwischen den Feldern maximal einmal eine Fichte gestanden. Aber jetzt sind neue Zeiten angebrochen.

Bei dem Landwirt und Obmann des Waldverbandes, er bekleidet diese Funktion in Salzburg und auch auf Österreich-Ebene, stehen seit mehr als drei Jahrzehnten Bäume auf seinen rund 15 Hektar Land. „Ein fesches Mikroklima, Lebensraum für viele Tiere, ein Stopp für Humusverfrachtung durch starken Wind und bester Dünger für den Boden“: Rosenstatter kennt die Vorteile eines gezielt angelegten Agroforst-Systems. Zwar war vor 30 Jahren noch nicht die Rede von Agroforst, dafür boomte in einer der ersten Wellen der Energiewende das Pflanzen von sogenannten Kurzumtriebsflächen in der Landwirtschaft; sie sollten schnell wachsendes Holz, etwa von Pappeln, zum Heizen liefern. „Zuerst haben wir nicht darauf geachtet, doch wir Bauern im Salzburger Land haben schnell gesehen, was für Naturparadiese auf den Baumstreifen zwischen unseren Äckern entstehen“, erinnert sich der Landwirt. 

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©Michaela Hessenberger

Agroforst: Eine alte Idee neu gedacht

In den 1990er-Jahren war er in seiner Gemeinde noch recht allein mit Bäumen auf Feldern. Doch 15 Jahre später kam es in Nussdorf zu Grundzusammenlegungen und 60, 70 landwirtschaftliche Betriebe haben begonnen, Windgürtel und erste agroforst-ähnliche Systeme im größeren Stil und nach Vorgaben der Agrar-Bezirksbehörde Salzburg anzulegen. „Als unser Partner hat uns die Behörde darüber informiert, welche Sorten wir in welchem sinnvollen Abstand anpflanzen können“, erklärt Rosenstatter. Immerhin müssen Traktoren, Sämaschinen und Pflüge ihre Arbeit verrichten können, ohne von Ästen und Baumkronen behindert zu werden. Das bedeutet jedenfalls, dass der Gesamtertrag auf dem Feld etwas schrumpft, da weder Tiere weiden noch Feldfrüchte reifen können, wo Bäume stehen. Ungeachtet dessen haben die Nussdorferinnen und Nussdorfer mit der Zeit rund 1000 Hektar Nutzfläche mit Streifen aus Sträuchern und Bäumen versehen, stets mit einem wachen Blick darauf, mit ihren Maschinen gut durch die nun begrenzten Felder zu kommen.

Während Agroforst-Wirtschaft heute immer mehr Aufmerksamkeit gewinnt, ist die Idee Jahrhunderte alt; in Mitteleuropa war sie in Form von Streuobstwiesen und -äckern, Hecken oder auch Waldweiden verbreitet. Heute geht es um die multifunktionale Landnutzung. In Zeiten von Strukturwandel, Flurbereinigungen sowie fortschreitender Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft ein Trend, den immer mehr Landwirtinnen und -wirte nicht zuletzt wegen des Klimawandels aufgreifen. Weltweit, europaweit, österreichweit. „Das Bewusstsein für Agroforst steigt langsam, aber es steigt“, lautet Rudolf Rosenstatters Einschätzung.

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©Michaela Hessenberger

Langfristiges Denken

In dieselbe Kerbe schlägt Theresia Markut. Am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Wien ist sie für Nachhaltigkeitsanalyse und Agroforst-Entwicklung in Österreich zuständig. „Aktuell gibt es etliche Agroforst-Formen, die immer bekannter werden. Mich fasziniert, dass das Prinzip von Bäumen auf Feldern nicht eindimensional ist, sondern auf so vielen Ebenen wirkt. Freilich muss das System zum landwirtschaftlichen Betrieb passen, denn es bedeutet Management und Mehrarbeit.“

Wie Neugierige am besten mit ihrem eigenen Agroforst-System beginnen? „Indem sie sich gut und wirklich umfassend informieren und ihre Gedanken ausreichend lange sickern lassen. Ich empfehle, mit Vorreiterinnen und Vorreitern zu sprechen und sich anzuschauen, wie diese es angegangen sind. Es ist üblich, die Idee zwei, drei Jahre mit sich herumzutragen und dann mit einzelnen Bäumen zu starten“, berichtet sie. Österreich habe den Vorteil, dass viele Landwirte – wie auch Rudolf Rosenstatter – Wald besitzen und Bäume für sie nichts Fremdes sind. Salzburg sei prädestiniert für Streuobst, fügt Markut an.

Allerdings: Wer mit Agroforst starten möchte, muss in die eigene Tasche greifen. Fehlende Förderungen stellenin Österreich ein echtes Hindernis dar. Deutschland und die Schweiz sind da bereits viel weiter, schütten Gelder aus. So bedeuten Baumstreifen auf Feldern hierzulande bei allen Vorteilen jedenfalls weniger Ertrag und mehr Aufwand, immerhin muss der Agroforst auch gepflegt werden. Markut:

Langfristiges Denken ist angesagt. Wenn jetzt Bäume gesetzt werden, ernten vielleicht erst die Kinder den Ertrag.

Wer mit Agroforst startet, sollte also auch die Hofnachfolge geregelt haben.“ Doch sind die Bäume alt genug, um Nüsse, Früchte oder Holz abzuwerfen, dann führe das zu einer Ausweitung des Einkommens, die durchaus gutes Geld in die Kassen bringt, gibt die FiBL-Expertin zu bedenken. 

Forschung noch am Anfang

Erreichbare Förderungen sieht sie als unbedingten Gamechanger, wenn sich Agroforst in Österreich weiter etablieren soll. Sie sieht starke Verbindungen zu Nachhaltigkeit in Boden, Luft und Wasser. „Der drängendste Grund, diese Idee mit allem Einsatz zu verfolgen, ist die Klimawandel-Anpassung.

Baumreihen verändern nachweislich das Mikroklima.

Agroforst ist eine Bereicherung für die Landschaft und stemmt sich der Biodiversitäts-Krise entgegen, vom wichtigen Lebens- und Brutraum für Säugetiere, Vögel, Amphibien oder Insekten ganz zu schweigen!“

Belege für ihre Argumente vermisst Markut für Österreich schmerzlich. Daten und qualitative Studien fehlen, die Forschung stehe noch am Anfang, sagt sie. Viel weiter sind da schon Lukas Beule und Anna Vaupel. Die beiden Wissenschaftler:innen befassen sich am Julius Kühn-Institut (JKI) in Berlin intensiv mit Agroforst-Systemen. Beule, der zu Bodenmikroorganismen forscht, hat Beweise dafür, wie sich Bäume und Sträucher auf Äckern auf die Lebensgemeinschaft im Boden auswirken. Immerhin: In Böden befinden sich rund 60 Prozent der globalen Biodiversität und die darin enthaltenen Mikroorganismen übernehmen wesentliche Funktionen in der Nahrungsmittelproduktion für den Menschen. Der Forscher bringt es auf den Punkt:

Die Gesundheit unserer Böden ist eng mit jener von Pflanze, Tier und Mensch verknüpft.

Mehr Mikroorganismen und Regenwürmer

Studien des JKI, etwa in einem Pappel-Getreide Agroforst-System nahe Neu Sacro (Brandenburg, Lausitz), zeigen, dass sich unter den Bäumen mehr – und andere – Mikroorganismen tummeln. Beule: „Wir sehen pro Einheit Boden, dass die Populationsgröße unter den Bäumen deutlich höher ist als im Getreide. So nehmen wir bei sogenannten Ständerpilzen beispielsweise eine Steigerung unter den Bäumen im Vergleich zum offenen Acker um bis zu Faktor 330 wahr.“ Angesichts dieses Plus‘ von fast 33.000 Prozent lässt sich also mit Fug und Recht behaupten, dass Bodenpilze definitiv ein besseres Habitat vorfinden. Die Laubstreu unter den Bäumen bildet die Wachstumsgrundlage vieler solcher Pilze und ist auch den Regenwürmern zuträglich, wie Anna Vaupel bestätigt: „Unter den Bäumen leben achtmal mehr Regenwürmer als im offenen Acker ohne Bäume.

Im gesamten Agroforst-System inklusive Getreidefläche verzeichneten wir 165 Prozent mehr Regenwürmer als im freien Feld.

Die JKI-Studien zeigen also, dass Agroforst stark zu einer Veränderung der Regenwurmgemeinschaft führt, finden sich dort doch mehr tiefgrabende und streuschicht-bewohnende Regenwurmarten; auch flachgrabende Arten, die verstärkt auf Äckern zu finden sind, werden in den Baumreihen gefördert. Warum sich die Regenwürmer ausgerechnet im bepflanzten Streifen so wohl fühlen, führt Vaupel unter anderem auf den Umstand zurück, dass dort nicht gepflügt wird. Das schützt die Wohnröhren. Außerdem gibt es eine Krautschicht unter den Baumkronen und das Laub in den Baumreihen dient Streubewohnern als Habitat und Nahrungsquelle. 

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© FiBL, T. Markut

Lebensraum am Feld

Was den Regenwurm freut, ist auch für die Landwirtschaft von Vorteil – immerhin lockern die Tiere den Boden auf. Das wiederum bringt Regenwasser schneller in den Boden und vermeidet Wassererosion bei Starkregen. Wenn sie auf der Suche nach Nahrung sind, ziehen sie abgestorbenes Pflanzenmaterial in den Boden, was Krankheitserreger unterdrückt und den Humusaufbau fördert. Auch wenn die Regenwürmer es nicht gern lesen: Wenn es ihnen gut geht, profitieren davon Reptilien und Vögel, denen die Regenwürmer als Nahrungsgrundlage dienen.

Lukas Beule berichtet, dass das JKI derzeit eine Studie zu Windschutzstreifen auf Äckern im ökologischen Landbau macht und die oberirdische Biodiversität einbezieht. Davon verspricht man sich viel, Hoffnung macht auch die Studie des Franzosen Sébastien Boinot. In Emergenzfallen, die auf den Boden gestellt werden und aussehen wie kleine Zelte, hat das Forschungsteam geprüft, welche Organismen sich im Laufe einer Vegetationsperiode entwickeln. Aufschlüsse gab alles, was in einer kleinen Flasche mit Fangflüssigkeit landete und konserviert wurde. Boinot hat geschlussfolgert, dass Baumreihen mit Nützlingen wie Spinnentieren assoziiert werden können, während in den Getreidereihen eher Schädlinge wie Blattläuse und Nacktschnecken vorkommen. Seine Hypothese lautet, dass Nützlinge von den Bäumen ins Getreide überlaufen. Dies wäre ein starker Pluspunkt für Agroforst-Systeme, welcher vom JKI genauer untersucht wird.

In Nussdorf am Hausberg weiß Rudolf Rosenstatter nichts von den Forschungsergebnissen in Deutschland und Frankreich. Er vertraut seinen eigenen Augen. Hinter einem Hochstand erstreckt sich ein regelrechtes Dickicht. Nur wer genauer hinsieht, entdeckt, dass ein kleiner Teich im Inneren liegt. Totholz ragt ins Wasser. All das hat Rosenstatter mit benachbarten Bauern angelegt. Sie haben Lebensraum am Feld geschaffen. „Ich bin Jäger und finde es so faszinierend, wie das Leben erwacht, sobald es dämmert. In Wahrheit geht’s dann zu wie am Oktoberfest“, erzählt er und berichtet, dass Enten und Molche da sind, sich Hasen und Fasane tummeln.

Früher hieß es ,Schäm‘ dich‘, wenn jemand so ein Gestrüpp hat stehen lassen. Heute ist es genau das, was die Natur braucht.


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Illustration: Fiona Walatscher


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Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.


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