Klimaschutz ist Heimatschutz
Klimaschutz sei auch ‘Heimatschutz’, finden drei Aktivistinnen von FRIDAYS FOR FUTURE und Protect our Winters. Am ersten AlpenKlimaGipfel auf der Tiroler Zugspitze erzählten sie, warum sie im Alpenraum auf neue Protestformen setzen.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Lehrredaktion des ersten AlpenKlimaGipfels – Gespräche auf der Zugspitze.

Bergregionen erwärmen sich durch den Klimawandel etwa doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Beim ersten „AlpenKlimaGipfel“, der am 27. und 28. Juni 2024 stattfand, trafen sich Expert:innen im Panorama-Restaurant auf der Tiroler Seite der Zugspitze. Ziel der Konferenz war es, den Austausch und die Vernetzung der verschiedenen Parteien zu fördern.
Die bodentiefen Fenster im Konferenzraum gaben den Blick auf die umliegenden Gipfel der Zugspitze frei – eine einzigartige Kulisse, die gleichzeitig die Schönheit, aber auch die Vulnerabilität der Natur widerspiegelt. Wo heute nur noch vereinzelte Schneefelder zu sehen sind, waren die Berge bis vor wenigen Jahrzehnten von Gletschern bedeckt.
Die Diskussionen auf der Klimakonferenz waren intensiv – aber auch lösungsorientiert. Allen Teilnehmenden ist bewusst: Die wahre Arbeit dieser Gipfeltreffen beginnt nach den Konferenzen und Beratungen. Was hier auf fast 3000 Metern Höhe besprochen wird, muss dann auch bei den Menschen ankommen. Es geht darum, die Botschaften in der Gesellschaft zu verbreiten.
„Keine leichte Aufgabe“, betont die Klimaaktivistin Lena Öller. In einer Zeit, in der viele Menschen nachrichtenmüde sind und Themen wie der Gaza- oder Ukrainekrieg sowie der Rechtsruck den öffentlichen Diskurs dominieren, ist es eine Herausforderung, Gehör zu finden. Neue und innovative Wege seien notwendig, um die Menschen zu erreichen.
„Viele Menschen fühlen sich von der Klimabewegung nicht angesprochen.“
Man müsse weg vom stereotypen Bild, dass Klimaaktivist:innen ausschließlich junge, grün wählende Linke aus der Stadt seien, findet Lena Öller. Die 27-Jährige stammt aus dem Salzburger Pinzgau und ist Sprecherin des Klimaschutzvereins Protect Our Winters.
2007 wurde die Initiative vom professionellen Snowboarder Jeremy Jones gegründet. Das Ziel: den Klimaschutz in den Fokus der Outdoor- und Wintersportgemeinschaft zu rücken. Dafür arbeitet POW eng mit bekannten Alpinsportler:innen wie dem Kletterer Calum Muskett zusammen. Öller selbst ist seit ihrer Kindheit begeisterte Bergsportlerin. Sie erkennt auch im Alpinismus einen wichtigen Ansatzpunkt und Hebel, um etwas zu bewegen:
Durch die Leidenschaft für diesen Sport und die intensive Zeit in der Natur wird den Menschen bewusst, wie schutzbedürftig unsere Umwelt ist.
Seit über fünf Jahren engagiert sich Öller für den Klimaschutz in ihrer Heimat und in ganz Österreich – und sie scheut sich nicht, die Klimabewegung zu kritisieren. „Viele Menschen fühlen sich von der Klimabewegung nicht angesprochen“, sagte Öller.

Die Klimakrise ist für die Menschen im Alpenraum unmittelbar und stärker zu spüren. Bergregionen erwärmen sich rund doppelt so schnell wie andere Gebiete. Dadurch kommt es etwa häufiger zu Hochwassern und der Permafrost beginnt zu tauen, was Hänge instabiler macht und Murenabgänge mit sich bringt. „Die großen Protestbewegungen haben in den Städten begonnen, aber wir müssen den Protest auch in den ländlichen Raum bringen“, meint Öller daher. Das sei allerdings nicht so einfach.
Der Blick auf den Gletscher änderte seine Meinung
Ein “gutes Beispiel” hilft, weiß Sofia Scherer, die seit vier Jahren für FRIDAYS FOR FUTURE in Innsbruck aktiv ist. Sie ist auf einem Kleinbauernhof im ländlichen Patsch bei Innsbruck aufgewachsen. „Ein Freund aus meinem Dorf hat mich früher wegen der Klimastreiks belächelt – er fand es peinlich“, erzählt sie. „Mit dem Klimawandel hat er sich nicht beschäftigt. Doch von seinem Fenster aus sah er immer auf den Stubaier Gletscher und beobachtete, wie der Schnee zurückging.“ Das änderte schließlich seine Meinung.
Wenn man selbst betroffen ist, ist man auch emotional stärker involviert.
Es helfe besonders, Veränderungen, die jeder mit eigenen Augen sieht, zu erwähnen. „Das Hochwasser im heurigen Frühjahr oder die immer häufigeren Felsstürze – und dann die Verbindung zur Klimakrise herzustellen.“ Das bringe den Klimawandel näher an die Lebensrealität der Menschen und zeige, dass die Folgen bereits jetzt spürbar sind und nicht erst die kommenden Generationen betreffen.

“Man verschwindet in der Masse, das bestärkt”
“In der Stadt ist es leichter, Menschen zu motivieren, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen”, sagt Laila Kriechbaum, die sich bei FRIDAYS FOR FUTURE in Wien engagiert. Sie ist zusammen mit Sofia Scherer zum AlpenKlimaGipfel gereist, um FRIDAYS FOR FUTURE dort zu vertreten. Kriechbaum ist in Kufstein in Tirol aufgewachsen und kann einen direkten Vergleich ziehen. Sie kennt die Herausforderungen – etwa im Mobilitätsbereich. „Die Infrastruktur ist in der Stadt besser, deshalb ist es auch einfacher, sich klimafreundlich zu verhalten”, sagt sie. Das treibt an.
Ein weiterer Faktor sei die Anonymität in der Stadt. „Man verschwindet auf Demonstrationen in der Masse, das bestärkt“, sagt Kriechbaum. Auf dem Land gibt es den Effekt der Masse nicht. Hier kommt es auf andere Dinge an. Es sei auch “schwerer, sich als Klimaaktivistin zu ‘outen’”, erzählt Sofia Scherer. „Am Anfang wollte ich nicht, dass die Leute das von mir wissen, aber mittlerweile kann ich gut genug argumentieren, um mich auch auf Stammtischgespräche einzulassen.“

Die beiden Aktivistinnen haben in den letzten Jahren viel dazugelernt. „Es ist gut, wenn man selbst aus dem Ort kommt, denn dann wird man nicht als ‚Grünschnabel‘ aus der Stadt betrachtet“, sagt Scherer und erklärt weiter:
Man sollte nicht belehren, sondern auf Augenhöhe in den Dialog gehen.
Obwohl Klimaaktivismus in ländlichen Regionen mehr Herausforderungen mit sich bringt, konnte FRIDAYS FOR FUTURE im letzten Jahr große Erfolge verzeichnen, gewissermaßen die Massen an Land ziehen: „In Kufstein waren bei einem Streik tatsächlich 3,5 Prozent der Bevölkerung dabei. Bisher waren wir immer eher unzufrieden mit den 300 bis 400 Menschen bei den Demonstrationen, aber prozentual war das mehr als in Wien.“ Ein deutliches Zeichen, finden Scherer und Kriechbaum.
Konservativ sein und Klimaschutz ist kein Widerspruch
Lena Öller sucht unterdessen nach anderen Wegen, um Menschen zu mobilisieren. „Wir müssen Protestformen entwickeln, die ältere, konservative und junge Menschen gleichermaßen ansprechen“, ist Öller überzeugt. Klimaschutz sei kein Parteithema, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung. Mit Protect Our Winters organisierte sie daher im Mai 2024 einen Almauftrieb der Generationen, bei dem Kinder und ältere Menschen symbolisch wie das Vieh auf die Alm getrieben wurden, weil sie im Tal durch die enorme Hitze gefährdet sind.

Auch Vertreter:innen der Landwirtschaft, wie Petra Fürstauer-Reiter von der Landwirtschaftskammer Salzburg oder Michael Schwarzlmüller von den SPÖ Bauern waren beim Almauftrieb dabei. Beide befürworten die Aktion und begrüßen, dass Aktivist:innen versuchen, die Landwirtschaft mit ins Boot zu holen und zu Wort kommen lassen. Landwirt:innen bekommen die Möglichkeit, über die Herausforderungen zu sprechen, die sie in der täglichen Arbeit bereits jetzt spüren.
„Unser Leitspruch lautet: ‚Klimaschutz ist Heimatschutz‘“, erzählt Öller. Heimatschutz sei ein Begriff, der oft negativ konnotiert und fast rechtsextrem besetzt ist. „Wir dürfen den Begriff Heimatschutz nicht den Rechten überlassen.“
Das klingt für viele paradox, aber unser Ziel ist es doch, unseren Lebens- und Sportraum zu schützen. Das ist unsere Heimat.
Öller betont, wie wichtig es sei, mit Menschen anderer politischer Meinung in den Dialog zu treten. Regelmäßig trifft sie sich mit Landwirt:innen an Stammtischen. „Diese Gespräche sind zuerst sehr konfrontativ und negativ geladen“, sagt Öller. So wurde ihr schon an den Kopf geworfen, auch „eine studierte Grüne“, oder eine „linke Schilling-Verehrerin“ zu sein. „Aber wenn man diese Phase durchhält, gute Argumente hat – und sachlich bleibt – wird einem echtes Interesse entgegengebracht.“
Es sei wichtig, nicht zu verurteilen und klarzustellen, dass einzelne Landwirt:innen nicht die Schuld an Klimaproblemen tragen. Stattdessen brauche es bessere Rahmenbedingungen in der Branche. Klimaschutz darf nicht nur zusätzliche, unbezahlte Arbeit bedeuten, sondern muss auch finanziell gefördert werden und sich lohnen, etwa durch nachhaltigere Produktion oder den Ausbau erneuerbarer Energien. Und: Respekt vor ihrem Wissen ist entscheidend“, sagt Öller. „Sie wissen so viel über Natur und Klima – das ist ihr Beruf: Sie pflegen unsere Kultur- und Naturlandschaft.“
Das größte Problem sei, dass Landwirtschaftende sich oft nicht gehört, jedoch belehrt fühlten, was zu einer schlechten Meinung über Klimaschützer:innen führe, erläutert Öller weiter.
Dabei stehen wir eigentlich alle auf derselben Seite.
Konservativ-Sein und Klimaschutz, das ist für sie kein Widerspruch. „Konservativ bedeutet doch, etwas zu bewahren. Das können Werte sein, aber auch unsere Natur.”
Quellen & weiterführende Infos:
- Klimazukunft Alpenraum, ZAMG
- Almauftrieb der Generationen & Almgespräch der Wirtschaft – Protect Our Winters
- FRIDAYS FOR FUTURE
- AlpenKlimaGipfel
- Protect Our Winters
Titelbild: Protect Our Winters © Luca Jaenichen
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Lehrredaktion des ersten AlpenKlimaGipfels – Gespräche auf der Zugspitze. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung auf Deutschlands höchstem Berg bekamen Nachwuchsjournalist:innen die Möglichkeit, in einer Lehrredaktion wertvolle Praxiserfahrungen im Bereich (Klima-) Journalismus und redaktioneller Arbeit unter Echtzeitbedingungen zu sammeln. Die daraus entstandenen (multimedialen) Berichte, Kommentare und Interviews der Teilnehmenden wurden anschließend in Kooperation mit Qualitätsmedien, so auch relevant.news, veröffentlicht. Unterstützt wurden die Nachwuchsjournalist:innen von Lukas Bayer, Vorstandsmitglied des Netzwerks Klimajournalismus Österreich. Mehr Informationen zum ersten AlpenKlimaGipfel – Gespräche auf der Zugspitze sowie zur Lehrredaktion finden sich unter www.alpenklimagipfel.jetzt.
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