Frühwarnsysteme als Katastrophenschutz
Welche Maßnahmen im Katastrophenschutz jetzt Priorität haben sollten, erklärt Steve Weingarth vom Startup GMD in Innsbruck, das Klimaanpassungssysteme entwickelt.
Steve Weingarth ist Geschäftsführer der GMD GmbH in Innsbruck. Das Unternehmen entwickelt Sensor- und Radartechnologien für Klimaanpassungssysteme. Diese Systeme werden an kritischen Infrastrukturen wie Steinschlagnetzen, Stützmauern und Lawinenverbauungen eingesetzt, um deren Lebensdauer zu verlängern und Ereignisse festzustellen. So soll ein effektives Frühwarnsystem in der D-A-CH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) etabliert werden.
Nur ein bis zwei Minuten, um Betroffene zu warnen
Aufgrund des Klimawandels nehmen Starkregen, Überschwemmungen, Murenabgänge und Bergrutsche im Alpenraum deutlich zu. Merle Hubert hat Steve Weingarten am AlpenKlimaGipfel auf der Zugspitze getroffen und für relevant interviewt:
relevant: Herr Weingarth, wie gut ist der Alpenraum auf den Ernstfall vorbereitet?
Steve Weingarth: Die entscheidende Frage ist nicht nur, wie gut wir auf den Ernstfall vorbereitet sind, sondern vor allem, wie früh wir ihn vorhersehen können. Wir müssen präventiv arbeiten, statt nur auf Unwetterereignisse zu reagieren. Dafür brauchen wir eine bessere und systematische Früherkennung.
Die Gesamtfläche von Österreich besteht zu 58 Prozent aus Gefahrenzonen.
Laut der Bundeseinrichtung „Die Wildbach- und Lawinenverbauung“ gibt es kein effektives Frühwarnsystem in Österreich. Ein großes Defizit, finde ich.
relevant: Warum sind diese Frühwarnsysteme in Tirol besonders wichtig?
Steve Weingarth: Tirol hat viele steile und exponierte Täler, die gleichzeitig stark besiedelt sind. Hier müssen wir dringend mit Frühwarnsystemen arbeiten. Ein Beispiel ist das Sellraintal, wo 2015 eine große Mure niederging. Damals wurde zwar in kritische Infrastruktur wie Auffangbecken und Stützwände investiert, aber es wurde kein Frühwarnsystem installiert.
relevant: Wie könnte es besser gemacht werden?
Steve Weingarth: Wir sollten jetzt flächendeckend in Monitoring investieren. Unser Team arbeitet daran, bessere Überwachungssysteme zu entwickeln und zu installieren. Wir haben eine Plattform entwickelt, die mit Hilfe von Sensoren, Satelliten- und Umweltdaten sowie künstlicher Intelligenz Anomalien misst und Gefahrenzonen besser einstuft.
relevant: Können Sie ein Beispiel für eine Gefahrenzone nennen?
Steve Weingarth: Das gesamte Sellraintal oder auch das Stubaital sind sehr gefährdet durch die massiven punktuellen Regenfälle. Aktuell wird von der GeoSphere Austria ein Gebiet zwischen Gries und Praxmar überwacht, welches als Gefahrenzone gilt. Hier wurden innerhalb nur eines Jahres Bewegungen des Berges von 40 bis 60 cm pro Jahr gemessen, die aktuell mit Radar-Technologie überwacht werden. Mit genauen Laser- und Radar-Technologien kann man abschätzen, wann es zu einem Erdrutsch kommt und welche Gebäude betroffen wären.
relevant: Was kosten diese Systeme?
Steve Weingarth: Das Radar-Monitoring an einem Hang kostet rund 130.000 Euro pro Jahr. Wir versuchen, neuere und kosteneffizientere Technologien einzusetzen, um die Kosten deutlich zu reduzieren. Dennoch ist das günstiger als der tatsächliche Schaden einer Naturkatastrophe.
relevant: Wie lange im Voraus lassen sich Bergrutsche aktuell vorhersagen?
Steve Weingarth: Mit den Systemen, die es derzeit in Tirol gibt, bleiben aktuell nur ein bis zwei Minuten, um betroffene Gebiete durch Ampelschaltungen zu warnen.
relevant: Nicht gerade viel Zeit…
Steve Weingarth: Das stimmt, deshalb entwickeln wir gerade ein System, das tiefer im Berg misst und bereits ein oder zwei Tage im Voraus Warnungen herausgeben kann. Bisher wurden Messungen hauptsächlich an der Oberfläche durchgeführt. Das System ist noch in der Entwicklung und kann daher noch nicht großflächig eingesetzt werden. Die Kosten werden deutlich geringer sein als bei herkömmlichen Systemen. Ich sehe hier eine große Chance, Naturgefahren früher zu erkennen und die Effizienz zu erhöhen.
relevant: Wie funktioniert das Monitoring von Bergrutschen?
Steve Weingarth: Jeder Berg hat eine eigene Schwingung, welche man zwar nicht spüren, aber messen kann. Vor einem Bergrutsch oder Murenabgang werden diese Schwingungen stärker.
relevant: Wie steht es um die Früherkennung von Hochwassern?
Steve Weingarth: Auch hier müssen die Überwachungssysteme besser ausgebaut werden. Gemeinsam mit Silicon Austria Labs und Infineon entwickeln wir Radarsysteme, mit denen wir Hochwasserpegel, Fließgeschwindigkeiten und Verstopfungen bereits im Gerinne messen können. Derzeit werden Messungen nicht am Ursprung der Bäche, sondern weiter flussabwärts vereinzelt durchgeführt.
relevant: Warum ist das ein Problem?
Steve Weingarth: Dadurch wird sintflutartiger Regen in höheren Lagen erst spät erkannt, was zu plötzlichen Überschwemmungen führen kann. Das Sellraintal ist ein gutes Beispiel: Praxmar ist ein großes Einzugsgebiet. Wenn es dort stark regnet, bekommt man das in Innsbruck oft nicht mit. Wir wollen deshalb in hochalpinen Bereichen Messstationen aufbauen, um besser vorbereitet zu sein.
relevant: Welche Maßnahmen sollte die Politik jetzt priorisieren?
Steve Weingarth: Die Politik sollte erkennen, wie wichtig es ist, jetzt in Frühwarnsysteme zu investieren, um Schäden zu minimieren und gleichzeitig die Biodiversität in den alpinen Regionen zu erhöhen. Monitoring statt Neubau von Schutzbauten. Der Schutz der Zivilbevölkerung sollte oberste Priorität haben. Außerdem sollten die Kommunen mehr Befugnisse erhalten, damit sie schneller und eigenständiger reagieren können. Oftmals werden die Kommunen allein gelassen. Bei alpinen Baumaßnahmen ist zwar die Bundesbehörde „Die Wildbach- und Lawinenverbauung“ zuständig, eine Dienststelle des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, trotzdem sollten auch die Kommunen mehr ins Boot geholt und ihnen eigene Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Titelbild: Die Ötztaler Alpen, Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
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Titelbild: ChrisRinckes
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Lehrredaktion des ersten AlpenKlimaGipfels – Gespräche auf der Zugspitze. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung auf Deutschlands höchstem Berg bekamen Nachwuchsjournalist:innen die Möglichkeit, in einer Lehrredaktion wertvolle Praxiserfahrungen im Bereich (Klima-) Journalismus und redaktioneller Arbeit unter Echtzeitbedingungen zu sammeln. Die daraus entstandenen (multimedialen) Berichte, Kommentare und Interviews der Teilnehmenden wurden anschließend in Kooperation mit Qualitätsmedien, so auch relevant.news, veröffentlicht. Unterstützt wurden die Nachwuchsjournalist:innen von Lukas Bayer, Vorstandsmitglied des Netzwerks Klimajournalismus Österreich. Mehr Informationen zum ersten AlpenKlimaGipfel – Gespräche auf der Zugspitze sowie zur Lehrredaktion finden sich unter www.alpenklimagipfel.jetzt.
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