Cannabis: Legal, aber wie?

Der Schriftsteller Helge Timmerberg hat sich auf eine Reise in Länder begeben, in denen Cannabis legal ist. Dabei hat er nicht nur viel geraucht, sondern auch jede Menge über die Wirklichkeit der Legalisierung gelernt. Im Interview erzählt Timmerberg von seinen Eindrücken.

Kunden kaufen Marihuana in einem Pop-up-Truck in Bangkok, Thailand © iStock.com/Thierry Coulon

Helge Timmerberg kifft, seit er 17 ist. Klar sei es eine Sucht, gesteht der Reiseschriftsteller, und fügt dennoch hinzu: Ein Glück, dass es nicht Alkohol ist, sonst stünde es jetzt schlimm um ihn, von Katerzuständen bis hin zu Leberzirrhosen.

Dass Österreich sich weiterhin gegen eine Legalisierung stemmt, hält Helge Timmerberg für kurzsichtig. Mindestens ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte aller österreichischen Erwachsenen, soll laut Umfragen der Gesundheit Österreich GmbH schon einmal Cannabis konsumiert haben.

Das ist eine Realität, an die zahlreiche Länder der Welt ihre Gesetzgebung schon angepasst haben. Helge Timmerberg hat diese Länder in den letzten Jahren besucht und hat auf gigantischen Plantagen in Thailand, bei den neuen Cannabis-Tycoons Kaliforniens oder in den gemütlichen Cannabis Social Clubs Spaniens die dortige Wirklichkeit der Legalisierung kennengelernt. Was er dabei beobachtet und erlebt hat, veröffentlicht er 2023 in einem Buch. Seine wichtigste Einsicht: Legal ist nicht gleich legal.

Helge Timmerberg bei der Arbeit © Rosa Merk

Helge Timmerberg, geboren 1952 in Dorfitter (Hessen), ist ein deutscher Abenteurer, Journalist und Reiseschriftsteller. Mit 17 trampte er nach Indien, wo er sich entschloss, Journalist zu werden. Seither kifft er und schreibt Reportagen aus allen Teilen der Welt, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung, Die Zeit, Allegra, Stern, Spiegel, Playboy und andere. 

Der „größte, schrillste, unterhaltsamste und zugleich klügste deutsche Reiseschriftsteller“ (Frankfurter Rundschau) hat inzwischen 17 Bücher veröffentlicht.  „Tiger fressen keine Yogis“, „Das Haus der sprechenden Tiere“, „Shiva-Moon“, „In 80 Tagen um die Welt“, „Der Jesus vom Sexshop“ und „African Queen“ sind Kult unter Reisenden. Timmerberg entführt sein Publikum in den Orient, wie in „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich“, oder nach Nepal, wo seine Autobiografie, der SPIEGEL-Bestseller „Die rote Olivetti“, endet und „Das Mantra gegen die Angst“ beginnt. Anlässlich seines 70. Geburtstags in diesem Jahr hat der „Ewige Hippie“ Timmerberg (Literatur Spiegel) ein Buch über das Älterwerden geschrieben: „Lecko Mio-Siebzig werden“. 

Im Herbst 2023 erschien Timmerbergs Buch Joint Adventure – Eine Reise in die Welt des Cannabis im Piper Verlag.

Herr Timmerberg, wie oft haben Sie sich vorgenommen, mit dem Kiffen aufzuhören?

Aufgehört habe ich schon öfter, einmal ging es ganz von selbst, da hatte ich zuerst Psylocibin-Pilze genommen, vor etwa zehn Jahren. Danach habe ich es noch zwei, drei Mal versucht, das ging dann von ein paar Wochen bis zu einem halben Jahr.

Ist das für Sie wie Fasten?

Beim letzten Mal war mir klar, das wird jetzt ne Pause. Vorher hatte ich mir auch schon vorgenommen, ganz aufzuhören, aber, ob ich jemals daran geglaubt habe, weiß ich nicht. Das Kiffen ist so eng verknüpft mit meiner Arbeit, dem Schreiben, dass ich wohl zwei Jahre clean sein müsste, um beim Schreiben im nüchternen Zustand keinen Inspirationsmangel zu spüren. 

Warum wollten Sie überhaupt aufhören?

Das Kiffen hat ja auch Nachteile. Ich werde durchs Kiffen ober sensibel und gerade im Beziehungsleben, da komme ich mit Frauen viel schlechter klar als nüchtern. Über die Zeit hat sich das auch geändert. Früher wurde ich durchs Kiffen mutiger, in letzter Zeit eher paranoid. Nicht, dass ich dann glaube, die Welt hat sich gegen mich verschworen; aber wenn irgendwas ungewiss ist, gehe ich gleich davon aus, dass die schlimmere Variante eintrifft. Das nervt mich, ich bin nüchtern selbstbewusster, mutiger. 

Und die Sucht?

Ich kiffe seit ich 17 bin, täglich. Es ist schon so, wenn ich mal an nichts komme, dann weiß ich, das wird jetzt ein scheiß Abend. Mir fehlt so eine Befriedigung im Bauch. Und ich schlafe dann auch schlecht.

Auf gesetzlicher Ebene setzen Sie sich trotzdem für eine Legalisierung von Cannabis ein. Warum?

Die Probleme, die ich mit Haschisch habe, und die Probleme, die die Illegalität bringt, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich vergleiche die Probleme meiner Haschisch-Abhängigkeit damit, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich von Alkohol abhängig wäre. Da ist der Alkohol eindeutig schlimmer. Manche Nebenwirkungen von Cannabis sind sogar wahnsinnig gesund, vom stärkeren Immunsystem bis hin zur Krebsvorsorge. Das merkt man schon daran, wie man sich am nächsten Tag fühlt. Wenn ich am Abend so viel trinke wie ich kiffe, dann geht’s mir am nächsten Tag richtig scheiße.

Naja, aber wenn die Leute schon trinken, dann sollen sie wenigstens nicht auch noch kiffen.

Da, wo Cannabis schon längere Zeit legal ist, hat sich herausgestellt, dass der Konsum kurz nach der Legalisierung ein bisschen ansteigt. Weil viele neugierig sind. Dann geht es aber auf das alte Maß zurück. Wer kiffen will, kann sich immer was besorgen, ob legal oder nicht. Es ist aber so, dass du nie weißt, was du bekommst. Reines Haschisch ist richtig selten, es ist fast immer irgendein Scheiß drin. Du weißt auch nicht, wie stark das Zeug ist. Das ursprüngliche Marihuana war ja recht menschenfreundlich, das hatte 12 bis 15 Milligramm THC. Aber diese ganzen hochgezüchteten Sorten haben einen Anteil von bis zu 30 Milligramm. 

Und das ist schlecht?

Die inspirierende Wirkung geht da komplett verloren, das ist viel zu hoch, das ist breit. Wie ein altes persisches Sprichwort sagt: Ein Körnchen Haschisch macht dich zum Weisen, das Körnchen zu viel macht dich zum Esel. Wenn Cannabis legal ist, geht das alles viel transparenter. Ich war gerade in Bangkok, da ist seit letztem Sommer alles legal. Da steht bei den einzelnen Sorten immer drauf, wie viel THC jeweils drin ist.

In Kanada ist Cannabis egal
Saint John, New Brunswick, Kanada – 17. Oktober 2018: Menschen stehen Schlange, um Cannabis am ersten Tag der Legalisierung in Kanada legal in einem Cannabis Geschäft zu kaufen. © iStock.com/madsci

Für Ihr nächstes Buch haben Sie verschiedene Orte weltweit besucht, wo das Kiffen legal ist, und haben sich angeschaut, wie das mit der Legalisierung funktioniert hat. Wie kam Ihnen die Idee zu dieser Reise?

Ich wollte dieses Buch schon immer machen, weil das ein großer Teil meines Lebens ist. Und weil es in Deutschland jetzt in Richtung Legalisierung geht, war das genau der richtige Zeitpunkt. Ich hatte auch keine Lust, irgendeine Schreibtisch-Recherche zu machen, es gibt ja so viele Bücher zum Thema, medizinisch, soziologisch, dies und jenes. Das war mir zu langweilig. Ich bin von Haus aus Reiseschriftsteller, deshalb habe ich einfach beides kombiniert, das Reisen und das Thema, und hab mir die Orte angeschaut, wo es anders läuft als bei uns.

Legalisierung, ja oder nein, ist die eine Sache. Wie konkret legalisiert werden soll, ist aber die eigentliche Frage. 

Die Gesetzeslage unterscheidet sich in den einzelnen Ländern stark und zum Teil ist es echt komisch. In Malta zum Beispiel war ich überrascht, da ist alles legal, aber du kriegst es nicht. Zumindest, wenn du als Tourist da bist. Wer dort wohnt, darf pro Person bis zu 4 Pflanzen besitzen. Auch in der Öffentlichkeit ist der Besitz bis zu 30 Gramm erlaubt, man darf nur nicht in der Öffentlichkeit rauchen. Dann gibt es noch Medical Marihuana, das bekommt man auf Rezept in insgesamt zwei Apotheken. 

Und der Verkauf ist verboten?

Es ist nicht mal verboten, es gibt nur keine Shops. Sie haben auf Malta aber, nach dem spanischen Vorbild, so etwas wie „Cannabis Social Clubs“ eingeführt (Anmerkung: Das sind gemeinnützige Zentren, die ihre Mitglieder mit Cannabis, Aufklärung und Kontakt zu Gleichgesinnten versorgen). Wer gerne kifft, soll das legal machen können, sie wollen nur keinen Drogentourismus. Das finde ich sehr human.

Ganz anders in Kalifornien in den USA.

Der Wahnsinn! Plakate im Lastwagenformat, Cannabis statt Marlboro, vor jedem Shop ein Schilderwald, „20 Percent off for Valentine’s Day“. Komplett kapitalistisch. Die USA haben den Nachteil, dass Cannabis innerhalb eines Bundesstaates legal, aber nach dem Bundesgesetz, das auch die Banken und die Börse regelt, immer noch verboten ist. Das heißt, die US-amerikanischen Cannabis-Firmen können ihr Geld weder auf die Banken legen noch an die Börse gehen. Da werden sie noch sehr behindert, im Gegensatz zu Kanada.

Desert Hot Springs, Kalifornien, USA - 04. Mai 2022: Eine Werbetafel für Stinky Leaf Cannabis am Straßenrand © iStock.com/LizzieMaher
Desert Hot Springs, Kalifornien, USA – 04. Mai 2022: Eine Werbetafel für Stinky Leaf Cannabis am Straßenrand © iStock.com/LizzieMaher

Da sind ja auch die ganzen Konzerne.

Ja, dort können sie an die Börse gehen. Aber: Werbung ist verboten, das Business bleibt also ganz unauffällig.

Gibt es Länder, wo Sie gedacht haben: So geht Legalisierung, so sollten wir es auch machen?

Der Gesetzesvorschlag, wie er in Deutschland geplant ist, der ist gut. Die richten sich da sehr nach dem kanadischen Modell. Keine Werbung, kein großes Tralala. Aber alles ist reguliert, die Lieferwege sind klar, es wird komplett legalisiert. 

cannabis legal rechtliche regelungen
© Tim Wikkerink

Anders als in den Niederlanden, wo nur der Verkauf legal ist. Alles andere, Anbau und Lieferung, ist aber weiterhin illegal und deshalb in den Händen von Kriminellen. 

Deshalb hat mir auch Spanien unglaublich gut gefallen. Dort ist Cannabis zwar noch nicht wirklich legalisiert, dafür aber vollständig entkriminalisiert. Es gibt die Cannabis Social Clubs mit ihren Vereinsplantagen, als Mitglied kannst du dir dort was kaufen oder kannst zuhause anbauen, du darfst nur nicht in der Öffentlichkeit rauchen. Das ist sehr menschlich.

Sie kommen gerade aus Thailand, dort wurde diesen Sommer legalisiert. Wie war es da?

In Thailand bricht das Gras gerade aus allen Mauerritzen, völlig anarchisch. Die haben den Prozess der Legalisierung, wofür Kalifornien 10 Jahre gebraucht hat, in insgesamt drei Jahren durchgezogen. Da ersetzt das Cannabis-Geschäft gerade auch den weggebrochenen Tourismus. Und das läuft thailändisch wild.

Warum wild?

Als ich in Bangkok war, gab es schon rund 360 Shops – und es werden täglich mehr. In Thailand kann jetzt jeder anbauen. Die Shops, die ich kennengelernt habe, haben alle ihre eigenen Plantagen. Aber seitdem das Gesetz praktisch über Nacht durch ist, haben die Pflanzen noch eine Weile gebraucht, bis sie reif zur Ernte waren. Bis dahin wurde das Marihuana aus Kalifornien illegal herübergeschippert.

Thailand ist keine Demokratie. Hat man die Legalisierung einfach von oben verordnet?

Initiiert hat das alles der Gesundheitsminister, der beim neuen König auf gutem Fuße steht. Er hat riesige Kooperativen gegründet, wo sich ganze Dörfer zusammengeschlossen haben – Cannabis gehört ja zur traditionellen thailändischen Kräutermedizin – und die sind jetzt richtig fett dabei, haben ein Therapiezentrum, ein riesiges Cannabis-Restaurant, ein Festivalgelände, Gewächshäuser und Felder für 500.000 Pflanzen. Damit wollen sie nicht nur den thailändischen Markt beliefern, sondern den Weltmarkt erobern – und dabei sogar Kanada überholen. 

Und das könnte klappen?

Ja. Die Thailänder sind da sehr schnell und rührig, auch die Chinesen. Und das Cannabis-Geschäft in Thailand ist hauptsächlich in chinesischen Händen.

Gab es denn auch Länder, wo Sie sich gedacht haben: So darf es auf keinen Fall gehen?

Ich habe bei keinem Land große Kritik, auch nicht bei Kalifornien, weil ich sehe, dass es auch mit der Werbung zu keinem wesentlich höheren Konsum kommt. Es gibt nunmal Leute, die Haschisch mögen, und Leute, die es überhaupt nicht mögen. Was die Thailänder aber viel besser gemacht haben als die Amerikaner: Als am 6. Juni das Legalisierungs-Gesetz rauskam, haben sie sofort sämtliche Gefängnis-Insassen, die wegen Marihuana saßen, freigelassen. In Amerika ist es schizophren, da machen Leute jetzt mit Cannabis richtig Kohle und gleichzeitig sitzen andere wegen einem einzigen Joint noch jahrelang im Knast.

Auch wenn es eher nicht so sein wird: Nehmen wir mal an, Österreich würde noch vor Deutschland und Schweiz legalisieren. Welche Folgen hätte das?

(Helge Timmerberg schüttelt noch während der Frage den Kopf) Das wird nicht passieren. Aber wenn Deutschland, das wirtschaftlich stärkste Land in Europa, legalisiert, dann strahlt das natürlich aus. In Deutschland ist der Gesetzesentwurf fertig, jetzt ist man dabei, Probleme mit dem EU-Recht zu beseitigen. Das kann noch lange dauern, aber wenn es mal soweit ist, wäre das ein Präzedenzfall für die anderen Mitgliedstaaten. Da wird dann auch Österreich nachziehen. Die Vorteile sind einfach zu mannigfaltig, für den Staat fällt die ganze Begleitkriminalität weg und es kommt auch noch Geld rein.

© Tim Wikkerink / Datenbasis: Gesundheit Österreich

Was aber davon abhängt, wie man legalisiert. In Spanien hat der Staat noch nicht so viel davon.

Ja, im Handel gibt es dort nur die Samen. In Kalifornien, wo das komplett kapitalistisch abläuft, werden natürlich auch die meisten Steuern gezahlt. In Thailand ist es noch völlig anarchistisch, da zahlt niemand Steuern, das soll sich aber bald ändern. Von den Steuern bleibt für den Staat auch viel mehr übrig als beim Alkohol, weil die schädlichen Nebenwirkungen von Cannabis um ein Vielfaches geringer sind – und deshalb auch die Kosten fürs Gesundheitssystem. Es würden alle nur gewinnen



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