Beyond the Male Gaze: Feminismus im Journalismus?
Deutet ein wachsender Frauenanteil in den Redaktionen auf eine wachsende Gleichstellung im Journalismus hin? Wie steht es um den Feminismus im Journalismus 2023?
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Bachelorstudiengang Medienmanagement an der FH St. Pölten im Wahlpflichtmodul „Mediensoziologie, Gender und Diversity“ (Leitung: Mag. Dr. Gaby Falböck; LV-Mitverantworliche: Mag. Christina Krakovsky) entstanden.
Männlich, 46 Jahre alt, kein Studienabschluss und angestellt bei einem Printmedium – das ist der Prototyp des heimischen Journalisten. Laut österreichischem Journalismus Report 2020 wohnt er außerdem in Wien und verdient monatlich 4100 Euro brutto.
Dass der Prototyp männlich ist, überrascht nicht. Der Journalismus war schon immer von Männern dominiert. Doch in den letzten Jahren hat sich in Sachen Gleichstellung einiges getan. Männer überwiegen heutzutage nur noch mit 53 Prozent. Der Frauenanteil der Branche wuchs damit auf 47 Prozent. Allerdings: Die Führungsebenen – von Chefredakteur bis Ressortleiter – sind deutlich männlich besetzt, was sich auch in den Gehältern niederschlägt.
Feminismus akademisiert und emanzipiert den Journalismus
Überraschend ist, dass der durchschnittliche Journalist keinen Studienabschluss besitzt. Das liegt vor allem daran, dass Journalist:in in Österreich keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Wer möchte, kann ohne Voraussetzungen Journalist:in werden. Der Zugang ist nicht gesetzlich geregelt.
Es zeichnet sich jedoch ein klarer Trend hin zum Studium ab. Besonders beliebt in Österreich sind Fachhochschulstudiengänge oder Journalismus-Kollegs. 2018/19 hatten bereits 48 Prozent der Journalist:innen einen Hochschulabschluss vorzuweisen – Tendenz steigend. Diese Akademisierung ist laut österreichischen Journalismus Report vor allem jungen, vorwiegend weiblichen Journalist:innen zuzuschreiben.
Durch mehr Frauen in der Branche kommt es aber nicht nur zu einer höheren Akademisierung. Zusätzlich finden feministische Themenschwerpunkte nun öfter Gehör. So erklärte etwa Katrin Gottschalk, Chefredakteurin der TAZ, im Rahmen der Veranstaltung female pressu:re 2021:
Feministischer Journalismus achtet darauf, dass Protagonist:innen gleichberechtigt vorkommen und dass auch die Verfasser:innen von Texten nicht nur Männer sind, sondern es sich auch da die Waage hält.
Sie beschreibt feministischen Journalismus als emanzipatorisch und betont, dass dies auch im tagesaktuellen Journalismus wichtig sei.
Sichtbarkeit von Frauen
Ulrike Winkelmann, ebenfalls Chefredakteurin der TAZ, betont:
„Beim feministischen Journalismus wird über alle Lebens- und Herrschaftsverhältnisse so berichtet, dass es im Zweifelsfall immer klar ist, was dies für die Frau bedeutet.“ Ein Mitdenken der Frau in allen Ressorts und Themenbereichen also.
Zur Veranschaulichung führte Winkelmann das Beispiel der Berichterstattung zum Braunkohleabbaus im Osten Deutschlands an, wo 10.000 Arbeitsplätze bedroht waren. Das Thema wurde 2021 von vielen Medien aufgegriffen und breit diskutiert. Winkelmann erklärt, dass in diesem Fall fast ausschließlich männliche Arbeitsplätze betroffen waren. Im Ungleichverhältnis dazu verweist sie auf die Berichterstattung zur Schließung der Drogeriemarktkette Schlecker, bei der 25.000, vorwiegend weibliche, Arbeitsplätze „von heute auf morgen“ verloren gingen. Diese lief allerdings nicht über den Zeitraum von einem Jahr, sondern nur einige Wochen. Winkelmann betont, „dass wir in nahezu allen Lebens-, Arbeits- und Geschlechterverhältnisse haben, die man manchmal nicht sofort erkennt, aber gerne hervor arbeiten kann.“
Frauen in Führungspositionen
Für eine sensible, feministische Berichterstattung, die patriarchale Strukturen benennt, braucht es nicht nur ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Berufsfeld. Vor allem braucht es Entscheidungsträger:innen, die eine solche Berichterstattung zulassen und sogar einfordern. Der Verein ProQuote setzt sich seit 2012 für eine Frauenquote in den Führungspositionen deutscher Medien ein.
Laut einer selbst erhobenen Studie lag der Frauen Machtanteil dort 2012 gerade einmal bei 13,7 Prozent, bis 2022 stieg er immerhin auf 38,9. Immer noch zu wenig, wie der Verein findet. Er fordert eine Frauenquote von 50 Prozent und macht sich außerdem für mehr Diversität in Führungspositionen stark.
Führungspositionen, bei denen alle Führungskräfte mittelalt, westdeutsch, heterosexuell, ohne Migrationsvorder- oder -hintergrund und ohne körperliche Beeinträchtigung sind, bilden die Gesellschaft schließlich auch nicht ab.
Und können vermutlich nicht gut über die Themen berichten, die die Menschen in diesem Land beschäftigen“, so Kathrin Werner und Edith Heitkämper im Namen des Vorstands von ProQuote Medien.
Ein Beispiel für starke weibliche Führungspositionen in der Medienwelt ist die Chefredaktion der TAZ. Die bereits erwähnten Ulrike Winkelmann und Katrin Gottschalk bilden diese seit 2020 zusammen mit Barbara Junge. Nachdem der ehemalige Chefredakteur Georg Löwisch seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte, setzte der Vorstand auf eine 3-fache Spitze aus Frauen. Ulrike Winkelmann betont, dass sich Frauen im Journalismus einem sogenannten „Malestream“ angepasst haben. Es gelte, genau diesen zu hinterfragen.
Beispiele, wie die TAZ, zeigen auf, dass sich im feministischen Journalismus endlich etwas bewegt. Das sieht auch Winkelmann: „Es braucht nach wie vor Mut im feministischen Journalismus, aber es hat sich schon sehr viel geändert.“
Der Journalismus braucht feministische Gegenöffentlichkeiten
Wo herkömmliche Medien gerade noch über Frauenquoten, weibliche Führungspositionen und eine sensible Berichterstattung diskutieren, hat sich schon lange eine feministische Gegenöffentlichkeit entwickelt.
Feministische Magazine, Blogs und Foren erreichen mittlerweile eine große Öffentlichkeit. Sie berichten kritisch und ordnen aktuelle Ereignisse aus feministischer Perspektive ein. Ziel ist es, eine Diskursverschiebung zu erreichen, um die Perspektive der Frauen ganz selbstverständlich in der öffentlichen Diskussion zu verankern. Medien, wie beispielsweise an.schläge oder das missy magazin widmen sich dieser Arbeit seit Jahren.
Feministische Outlets bleiben jedoch häufig Nischenmedien, die von Natur aus diejenigen erreichen, die sich bereits mit feministischen Themen beschäftigen. Ihre Rolle ist damit die der Vordenker:innen, die feministische Fragen weiterdenken.
Um eine breite Repräsentation zu erreichen, ist es umso wichtiger, dass reichweitenstarke Medien Frauen und deren Themen, Bedürfnisse und Problemstellungen einbinden. Der Standard beispielsweise schafft mit dieStandard eine feministische Redaktion in den Strukturen der Tageszeitung.
Es tut sich etwas in der Medienwelt, Frauen mit starken Stimmen und in Führungspositionen sind längst keine Seltenheit mehr, doch noch immer dominieren ungleiche Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse, ist noch einiges zu tun, bis eine gendergerechte Berichterstattung gewährleistet werden kann.
Illustraion: Midjourney
promt: diverse female journalists working together on a story
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Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Bachelorstudiengang Medienmanagement an der FH St. Pölten im Wahlpflichtmodul „Mediensoziologie, Gender und Diversity“ (Leitung: Mag. Dr. Gaby Falböck; LV-Mitverantworliche: Mag. Christina Krakovsky) entstanden.
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