Hausärzt:in dringend gesucht

Immer weniger (angehende) Mediziner:innen entscheiden sich für die Allgemeinmedizin im Kassenbereich. Dabei spielen gerade die Hausärzt:innen bei der flächendeckenden Primärversorgung, Basis der allgemeinen Gesundheitsversorgung, eine wichtige Rolle. Damit der drohende Hausarztmangel, besonders im ländlichen Raum, abgewendet werden kann, gibt es Ansätze, den Beruf bereits im Bereich der Ausbildung attraktiver zu gestalten.

Hausarzt dringend gesucht
Illustration von Tim Wikkerink

„Jungärzte verlassen Österreich“, titelte der Kurier im März 2022. „Keine Neupatienten: Ärztemangel ist bereits spürbar“, legte die Kronen Zeitung im Mai nach. Und auch die Bundeskurie der angestellten Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) warnt eindringlich vor einem hausgemachten Ärztemangel, dem „Damoklesschwert über unserer Gesundheitsversorgung“ (Zitat Bundeskurienobmann Harald Mayer)

Von anderer Seite lesen wir von einer hohen Ärztedichte: So haben wir im internationalen Vergleich sogar überdurchschnittlich viele Ärzt:innen pro Einwohner:innen. Städte weisen eine höhere Dichte auf, als das auf dem Land der Fall ist. Auf 1.000 Einwohner:innen in Wien gab es 2020 laut ÖAK etwa 6,93 Ärzt:innen, während man in Oberösterreich lediglich 4,3 Ärzt:innen je 1.000 Einwohner:innen zählte. Derartige Zahlen sollten jedoch mit Vorsicht betrachtet werden. Sie sind vor allem auf die Zunahme von Ärzt:innen im Spitals- und Wahlarztbereich zurückzuführen.

 Die Zahl der Allgemeinmediziner:innen mit Kassenordination ist bei steigender Einwohnerzahl seit Jahrzehnten konstant. Die Folge: ein:e Kassen-Allgemeinmediziner:in in Österreich versorgt heute deutlich mehr Patient:innen als noch vor einigen Jahren. Wenn von Ärztemangel die Rede ist, geht es darum, dass es zu wenige für die primärärztliche Versorgung zuständige Hausärzt:innen mit Kassenverträgen gibt. Demselben ÖAK Bericht entnehmen wir auch Daten, aus denen ein deutliches Übergewicht im Bereich der Allgemeinmedizin hervorgeht. Wie passt das nun wieder zusammen? 

„Allgemeinmedizin wird häufig als Vorstufe der eigentlichen Fachausbildung absolviert. Schlussendlich sind die Mediziner:innen aber in anderen Fächern tätig“, erklärt Dr. Richard Brodnig, BSc, angehender Allgemeinmediziner sowie Obmann der JAMÖ, Junge Allgemeinmedizin Österreich. „Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Allgemeinmediziner:innen versorgungswirksame Kassenstellen besetzen. Viele sind in Privatordinationen, als Arbeitsmediziner:in oder in anderen Bereichen tätig. Diese sind meist sehr gut bezahlt, sodass die Wahl für manche – etwa mit Blick auf die Work-Life-Balance – relativ leicht fällt.“

Dr. Richard Brodnig, BSc ©Privat

Viele Allgemeinmediziner:innen sind in Privatordinationen, als Arbeitsmediziner:in oder in anderen Bereichen tätig. Diese sind meist sehr gut bezahlt, sodass die Wahl für manche – etwa mit Blick auf die Work-Life-Balance – relativ leicht fällt.

Richard Brodnig

Es gibt hierzulande keinen generellen Ärztemangel und an sich auch nicht zu wenige (angehenden) Mediziner:innen, die es sich vorstellen können, als Hausarzt bzw. Hausärztin zu praktizieren. Vielmehr handelt es sich um ein Allokations- und Attraktivitätsproblem. 

Attraktivität steigern

Was erwarten sich angehende Mediziner:innen von der Allgemeinmedizin? Um sich dieser Frage zu nähern, befragte das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation alle österreichischen Turnusärzt:innen, sowie alle österreichischen Humanmedizinstudierenden an vier österreichischen und neun deutschen Universitäten. 

Aufgrund des breiten Patientenspektrums und des familienmedizinischen Aspekts wird die Allgemeinmedizin inhaltlich als attraktiv wahrgenommen. Zu wenig Zeit für die Patient:innen – aktuell sind es statistisch sechs Minuten pro Patient:in –, zu viele Vorgaben vonseiten der Krankenkassen, im Vergleich zu Fachärzt:innen zu wenig abrechenbare Leistungen und somit ein zu niedriges Einkommen halten schlussendlich allerdings viele davon ab, den Hausarztberuf zu ergreifen. 

Um die Allgemeinmedizin zu einem attraktiven Fach zu machen, müssten also die Rahmenbedingungen verändert werden: So sollten Hausarztleistungen adäquat bzw. facharztäquivalent vergütet werden. Zudem bräuchte es weniger strikte Vorgaben von Krankenversicherungsträgern und eine Steigerung der Wertschätzung sowohl bei politischen Entscheidungsträger:innen als auch bei anderen Fachkolleg:innen. 

Eine von der JAMÖ im Jahr 2020 durchgeführte Umfrage unter knapp 300 Studierenden und Turnusärzt:innen ergab ganz klar, dass auch die allgemeinmedizinische Ausbildung optimiert werden muss. So ist Richard Brodnig überzeugt, dass angehende Mediziner:innen schon während des Studiums Einblicke in den Praxisalltag haben sollten: „In Gesprächen zeigt sich, dass die Attraktivität der Allgemeinmedizin den Studierenden stärker bewusst wird, wenn sie frühzeitig und immer wieder damit in Berührung kommen. Eine mehrwöchige Lehrpraxis sollte daher fixer Bestandteil des Curriculums sein, so wie das in Graz bereits der Fall ist.“

Eine mehrwöchige Lehrpraxis sollte daher fixer Bestandteil des Curriculums sein, so wie das in Graz bereits der Fall ist.

Richard Brodnig

Das Projekts „Landarzt Zukunft“ bietet aktuell 6 Studierenden Einblicke in den Alltag des klassischen Landarztes. Sie begleiten Mediziner:innen mit Ordinationen im Oberen Ennstal und der Südoststeiermark durch den Praxisalltag. Um die Attraktivität der allgemeinmedizinischen Tätigkeit am Land zu fördern, könnten diese Praktika ein sinnvolles Mittel sein. Eine Fortführung in weiteren steirischen Regionen ist geplant.

Gesunde Zentren

Im Hinblick auf die Attraktivität des Hausarztberufs gibt es mit den sogenannten Primärversorgungseinheiten (kurz PVE) einen weiteren guten Lösungsansatz. In diesen Gruppenpraxen oder Gesundheitszentren kümmert sich ein Team aus Mediziner:innen um die Anliegen der Patient:innen. Von Physiotherapeut:innen über Hebammen bis hin zu Sozialarbeiter:innen sind die unterschiedlichsten Gesundheitsberufe vertreten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Längere Öffnungszeiten und kürzere Wartezeiten, ganzheitliche Behandlung und gut koordinierte Betreuung. Last but not least haben die behandelnden Ärzt:innen und Therapeut:innen mehr Zeit für Patient:innen bei zugleich geregelten Arbeitszeiten und damit einer besseren Work-Life-Balance – eine Win-win-Situation für alle Seiten und eine Methode gegen den Ärztemangel.

Richard Brodnig sieht in PVE eine Aufwertung des Angebots, gibt allerdings zu bedenken, dass „Menschen, die nicht in der Nähe einer solchen Einrichtung leben, in gewisser Weise eine Disriminierung erfahren. In Ballungszentren etwa gibt es immer mehr PVE, die auch gut angenommen werden. Nicht jedoch in ländlichen Regionen – also gerade dort, wo wir es ohnehin mit einer geringeren Ärztedichte zu tun haben.“. Die Gründe dafür reichen von, wenn man so möchte, eingesessenen Hausarztpraxen über einen Mangel an Anreizen für die Ärzteschaft, überhaupt eine Ordination am Land zu eröffnen, bis hin zu fehlenden Räumlichkeiten – schließlich kann eine PVE nicht in einer kleinen Hausarztpraxis untergebracht werden.

Einmal mehr muss frühzeitig angesetzt werden, so Brodnig: „Junge Menschen sollten schon während des Studiums mit der Hausarzttätigkeit am Land in Berührung kommen. Für manche ist eine Praxis auf dem Land unvorstellbar, und das ist auch legitim. Andere aber spüren erst vor Ort, dass ihre Zukunft ebenda liegt.“ Werden dann noch finanzielle Anreize geschaffen, die die Gründung einer Ordination oder PVE auf dem Land erleichtern, könnte man durchaus einige Ärzt:innen mobilisieren. 

Für manche ist eine Praxis auf dem Land unvorstellbar, und das ist auch legitim. Andere aber spüren erst vor Ort, dass ihre Zukunft ebenda liegt.

Richard Brodnig

Finanzielle Mittel sind vorhanden, immerhin stehen in Österreich bis 2026 mit dem Projekt „Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung“ im Rahmen der EU-Aufbau und Resilienzfazilität (kurz RRF, Recovery and Resilience Facility) 100 Mio. Euro zur Verfügung . Neben Maßnahmen im ländlichen Bereich sollen direkte Förderungen in Infrastruktur, Technik und die digitale Adaptierung den Ausbau von Primärversorgungseinheiten vorantreiben. Dazu kommen Investitionen in Initiativen zur sozialen Inklusion, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Forschungsförderung. Die Etablierung einer Plattform für Primärversorgung soll zudem ein kontinuierlicher, strukturierter und österreichweiten Erfahrungsaustausch ermöglichen. 

Höchste Zeit gegen den Ärztemangel anzutreten

Um die allgemeine Gesundheitsversorgung zu sichern, braucht es eine bessere, wohnortnahe medizinische Versorgung im niedergelassenen Primärbereich – und zwar flächendeckend und so rasch wie möglich. Aufgrund des demografischen Wandels werden sich künftig nicht nur noch mehr Patient:innen in den Ordinationen vorfinden. Auch die bevorstehende Pensionierungswelle der Generation 50plus stellt das heimische Gesundheitswesen vor eine weitere Herausforderung. In den nächsten 10 Jahren überschreiten 15.400 Ärzt:innen das Pensionsalter von 65. Dadurch seien 1.500 Stellen jährlich nachzubesetzen, verkündete Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres vergangenes Jahr. 

Um mehr Berufsanfänger:innen den Einstieg als niedergelassene Allgemeinmediziner:innen zu erleichtern, wird neben dem Abbau von Bürokratie häufig eine bessere Vergütung der Hausarzttätigkeiten gefordert. Förderprogrammen wie dem zur Förderung der Primärversorgungseinheiten setzen hier an. Mit der Integration der sogenannten Lehrordinationen in das Medizinstudium und dem Landarzt Projekt geht die Med Uni Graz mit gutem Beispiel voran, bereits im Rahmen der Ausbildung die Attraktivität des Hausarztberufs zu fördern. Wenn sich hier positive Effekte zeigen, könnten andere Universitäten nachziehen. Wie erfolgreich die Lösungsansätze sind, um dem Schreckgespenst Ärztemangel Einhalt zu gebieten, wird sich zeigen. 


Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.


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