Zukunft braucht Hobbies

Die Hobby Lobby bietet ein kostenloses Bildungs- und Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche an verschiedenen Standorten in Wien und ab heuer auch in Innsbruck, Nieder- und Oberösterreich. Die Initiative soll die physische und psychische Gesundheit fördern – vor allem bei denen, die es am meisten brauchen.

Dass sie einmal unterrichten würde, zwei ganze Jahre an einer Wiener Mittelschule, stand eigentlich nicht auf Rosa Bergmanns Lebensplan. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der WU Wien hätte es für den Master nach Oxford gehen sollen. Doch es kam anders. Im Rahmen von „Teach for Austria“, dem Quereinsteigerprogramm für Lehrkräfte, startete Rosa Bergmann im September 2017 mit einer vollen Lehrverpflichtung. 

Ausschlaggebend für diese Entscheidung war Bergmanns Bachelorarbeit, für die sie die Bildungswege in Familien mit Migrationshintergrund untersucht hatte. Gleiche Bildungschancen für alle? Von wegen, lautete ihr Ergebnis. Armut geht meistens einher mit Ausgrenzung und mangelnden Möglichkeiten. In Österreich gelten 342.000 Kinder und Jugendliche als armuts- und ausgrenzungsgefährdet.

Nicht nur Bildung ist ein Privileg. Auch die Möglichkeit einer bereichernden Freizeitgestaltung ist es.

Eine Klassenzimmer-Geschichte hat Bergmann besonders geprägt: Ein schüchternes Mädchen blieb nach dem Unterricht häufig länger in der Schule. Sie wollte nicht nach Hause gehen, weil ihre Eltern arbeiten mussten und sie nicht den ganzen Tag allein herumhängen wollte. Rosa Bergmann begriff damals: Nicht nur Bildung ist ein Privileg. Auch die Möglichkeit einer bereichernden Freizeitgestaltung ist es. So kann sich etwa jedes vierte hier lebende Kind ohne österreichische Staatsbürgerschaft unter 16 Jahren keine Teilnahme an Freizeitaktivitäten leisten.

Während der Pandemie hat sich dieses Problem noch einmal deutlich verschärft. 51 Prozent der Kinder erlebten mehr Konflikte in der Familie, für 42 Prozent der Familien war die Kinderbetreuung ein Problem. Das trifft vor allem Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Wer bei beengten Wohnverhältnissen auch noch Konflikte und Gewalt erfahren muss, hat es besonders schwer. 

Die Folge: Die psychische Gesundheit leidet. In einer Studie, die im März 2021 von der Donau-Universität Krems und der Med-Uni Wien vorgestellt wurde, gab mehr als die Hälfte der befragten Kinder an, unter einer depressiven Symptomatik zu leiden, die Hälfte litt unter Ängsten, ein Viertel unter Schlafstörungen, und 16 Prozent hatten suizidale Gedanken.

Prävention beginnt in der Freizeit

Psychische Probleme verlangen nach niederschwelligen psychologischen Behandlungs- und Betreuungsangeboten. Doch wie kann man überhaupt verhindern, dass es bei Kindern zu solchen mentalen Belastungssituationen kommt?

Als Lehrerin erinnerte sich Rosa Bergmann, wie sie selbst als Kind ihre Freizeit verbrachte. Ihre Eltern ermöglichten ihr den Besuch eines Tanzkurses, eines Fußballkurses und von Klavierstunden. Für sie boten diese Aktivitäten quasi ein zweites Zuhause. Doch sie sind teuer – und viele Eltern können sich das schlicht nicht leisten.

An dieser Stelle setzt die Hobby Lobby an: mit einem kostenlosen Freizeit- und Bildungsangebot. So bekommen Kinder und Jugendliche das, was ihnen bislang gefehlt hat: einen Ort, wo sie sich angst- und stressfrei entfalten können.

Wie funktioniert die Hobby Lobby?

Gemeinsam mit vier anderen engagierten Lehrer:innen startete Rosa Bergmann 2019 die Hobby Lobby als Pilotprojekt in Wien Favoriten. In acht Partnerschulen warben sie für das Projekt, mit 100 Anmeldungen war das Interesse von Beginn an groß.

Was auch am unkomplizierten Ablauf liegt: Am Anfang des Semesters können sich die Kinder mittels eines einfachen Anmeldeformulars für die Freizeitkurse registrieren, die wöchentlich stattfinden – während des Schuljahres, aber auch im Sommer. Heute veranstaltet die Hobby Lobby 180 Kurse für 2.360 Jugendliche an 6 Standorten. Die Kurse reichen von Tanzen und Kung Fu bis hin zu Street Art und Comiczeichnen. 

Letzteres hat auch die mittlerweile 17-jährige Rawan zur Hobby Lobby geführt. Ein Jahr zuvor war sie in der 5. Klasse, als ihr ein Freund von den kostenlosen Freizeitkursen erzählte. Damals dachte sie:

Hier kann ich vielleicht neue Freunde kennenlernen und meine Freizeit nutzen, um Kindern etwas beizubringen.

Ihre Stärke, das Zeichnen, hat sie gleich in einem Comic-Workshop eingebracht. Schnell war für sie klar, dass sie bleiben will. Im Rahmen des Youth Leader Programms ließ sie sich zur Co-Kursleiterin ausbilden und gibt heute das Erlernte an Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren weiter.

Freizeitangebote fördern Soft Skills

Viele der für einen erfolgreichen Bildungsweg und später für den Arbeitsmarkt wichtigen Kompetenzen sind sogenannte Soft Skills, wie intrinsische Motivation, Teamfähigkeit, Flexibilität, Kommunikation und Ähnliches mehr. 

Diese Erkenntnis steht an der Basis von der Hobby Lobby. Denn die Soft Skills lassen sich nicht nur in der Schule erlernen, sondern auch bei Freizeitaktivitäten, wie eine projektinterne Selbsteinschätzung der Soft Skills bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen ergeben hat.

Wirkungsmessung während der Durchführung des Projekts
©Hobby Lobby

Wenn diese Aktivitäten kostenlos zur Verfügung stehen, ist das ein wesentlicher Beitrag für mehr Chancen- und Bildungsgleichheit. Dass durch den Austausch und die Bewegung im Freien auch noch die physische und psychische Gesundheit gefördert wird, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.

Ehrenamtliche Helfer:innen sind das Rückgrat von Hobby Lobby

Kostenlose Freizeitangebote sind also großartig, bloß: Wie finanzieren sie sich? Bei der Hobby Lobby ist es aktuell ein Mix aus öffentlichen Förderungen, Unterstützung von Stiftungen, Preisen und Spenden. Ab 2022 sind außerdem Umsätze aus Unternehmenskooperationen, also durch private Sponsorengelder, geplant. Ein gewisses Risiko für den Weiterbestand der Initiative ist somit gegeben. Der ohnehin größte Kostenpunkt, die Personalkosten, wäre wesentlich höher, wenn die Hobby Lobby nicht dank des unermüdlichen Einsatzes von aktuell über 160 ehrenamtlichen Helfer:innen existieren würde. „Ich finde es wunderschön, dass hier alle Kinder die Möglichkeit haben, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun könnten, wenn sie dafür bezahlen müssten“, sagt Rawan. Eine Förderung kann auch mal wegbrechen, nicht aber die Überzeugung.


Hier finden Interessierte zu den aktuellen Standorten und den Kursanmeldungen: https://www.hobbylobby.co.at/standorte/

Copyright aller Bilder liegt bei Vienna Hobby LobbyFreizeitverein für Kinder und Jugendliche

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