Wenn die Frau ins (Video-) Spiel kommt
Anita Sarkeesian ist eine zentrale Stimme in der Debatte über die Darstellung von Frauen in Videospielen: Ihre Arbeit sowie die Initiative Feminist Frequency hat die Diskussion über Geschlechtergerechtigkeit in der Gaming-Kultur maßgeblich beeinflusst und die Branche dazu angeregt, weibliche Charaktere respektvoller darzustellen.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Bachelorstudiengang Medienmanagement an der FH St. Pölten im Wahlpflichtmodul „Mediensoziologie, Gender und Diversity“ (Leitung: Mag. Dr. Gaby Falböck; LV-Mitverantworliche: Mag. Christina Krakovsky) entstanden.
Die Rolle der Frau im Videospiel: Sexsymbol oder Jungfrau in Nöten
Lara Croft ist wohl eines der bekanntesten Beispiele für die klischeehafte Zeichnung vieler weiblicher Videospielcharaktere. Die Archäologin erhielt ihren ersten Auftritt in dem 1996 erschienenen Spiel Tomb Raider und hat mittlerweile auch über die Gaming-Welt hinaus Kultstatus erlangt. In dem mehr als 25 Jahre alten Videospiel wird Lara Croft in einem anliegenden, ärmellosen T-Shirt und Mini-Shorts dargestellt. Der Umfang ihrer Taille ist nicht viel größer als jener ihrer Arme, wohingegen ihre Brüste und Hüfte deutlich ausladender gestaltet sind. Auch in den darauffolgenden Spielen der Tomb Raider Reihe ist der Körperbau der Protagonistin weit von dem einer realen Frau entfernt und erinnert eher an eine Barbie-Puppe.
Dies ist allerdings kein Einzelfall. Lara Croft verkörpert ein viel größeres Problem, das in der Gaming-Szene schon seit langem existiert. Denn die Darstellung der Frauen in Videospielen beruht oft auf fraglichen Idealen und verbreiteten Klischees. Davon kann auch Philomena Scheuringer berichten. Sie ist eine leidenschaftliche Gamerin und spielt besonders gerne das Online-Multiplayer-Spiel League of Legends. In diesem seien die weiblichen Figuren sehr auf den „male gaze“ ausgerichtet, was sich beispielsweise in der spärlichen, an Unterwäsche erinnernden, Bekleidung des Charakters Janna zeige. Die Gamerin meint außerdem, dass auch die Gesichter der Frauen in dem Spiel immer generischer werden und es diesbezüglich kaum Raum für Individualität gäbe.
Allgemein lässt sich erkennen, dass weibliche Charaktere in Videospielen zum einen häufig als visuelle „Schmuckstücke“ verwendet und im Zuge dessen stark sexualisiert und objektifiziert werden. Auch das Konzept der klassischen Jungfrau in Nöten ist in Videospielen vielfach vertreten. Dabei besteht die Aufgabe des männlichen Helden darin, die besagte Jungfrau aus einer brenzligen Situation zu retten, aus der sie sich selbst nicht befreien kann. Sie ist ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert, zeigt keine Eigeninitiative und wird darauf reduziert, dem Hauptcharakter als Preis für seine Heldentaten zu dienen. Diese Rolle übernimmt beispielsweise Prinzessin Peach in den Mario Spielen, in welchen sie wiederholt von Bösewicht Bowser entführt wird und von Protagonist Mario befreit werden muss.
Frauen hinter dem Keyboard
Diese stereotypen Darstellungsformen von weiblichen Charakteren sind offensichtlich vorwiegend auf ein männliches Publikum ausgelegt, welches zum Kauf der Spiele motiviert werden soll. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Verzicht auf diese Klischees nicht sinnvoller wäre, da Gaming bei Männern und Frauen nahezu gleichermaßen beliebt ist.
Laut einem Artikel von Liwest sind 47 Prozent der Österreicher:innen die Online-Computerspiele spielen, weiblich. Eine in Deutschland durchgeführte Studie von bitkom aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass 44 Prozent der Frauen Computer- und Videospiele spielen, was einen relativ geringen Unterschied zu den 49 Prozent der Männer darstellt. In der vollzogenen Befragung wurde weiters festgestellt, dass 70 Prozent der Gamerinnen die Darstellung von weiblichen Charakteren fallweise als sexistisch empfinden. Unter den männlichen Spielern sind 61 Prozent ebenfalls dieser Meinung.
Im starken Kontrast zur Anzahl der Gamerinnen steht hingegen der Anteil der Frauen, die in der Videospielindustrie arbeiten. Laut einem Artikel der Zeit Online von 2019 liegt dieser in Deutschland zwischen zehn und 20 Prozent. Es ist also ein deutlicher Unterschied zwischen dem Frauenanteil der Produzent:innen und Rezipient:innen zu erkennen. Wären mehr Frauen in der Produktion und Kreation tätig, gäbe es möglicherweise auch weniger klischeehafte weibliche Charaktere in den Videospielen.
Doch nicht nur die fiktiven Spielefiguren sind von Sexismus und Vorurteilen betroffen. Auch Gamerinnen werden oftmals mit negativen Stereotypen konfrontiert, wie Philomena erzählt. Besonders die League of Legends Community sei für ihre sexistische Haltung bekannt, womit auch sie selbst schon Erfahrungen gemacht habe.
Ich spiele das Spiel jetzt seit 12 Jahren und es kommen immer irgendwelche Kommentare oder Leute, die das Spiel verlassen, wenn sie sehen, dass da eine Frau in ihrem Spiel drinnen ist.
Daraufhin habe sie sich im Spiel auch einen männlichen Namen zugelegt, um diese sofortige Reaktion zu vermeiden. Zudem müsse man sich als Frau in dem Spiel sehr oft beweisen, wie Philomena beschreibt. „Dann ist es egal ob ich 4 Ränge höher bin, also vom Spiel her besser. Da ist die erste Aussage: Ah, ein Mann muss sie also auf dieses Level gebracht haben, das hast du nicht selbst geschafft.“
Wie offen die Branche allgemein für weibliche Mitarbeiterinnen und Gamerinnen ist, hat sich allerdings bereits im Jahr 2014 mit der sexistischen GamerGate Bewegung gezeigt, bei der Frauen im Gamingsektor gezielt angefeindet und bedroht wurden.
#Gamergate
#Gamergate war eine sexistische Online-Kampagne aus dem Jahr 2014. Auslöser war ein Blogeintrag des Ex-Freundes der Spielentwicklerin Zoe Quinn. Darin beschuldigte er sie, sich durch eine Affäre mit einem Journalisten eine positive Berichterstattung „erkauft“ zu haben. Danach wurde die Entwicklerin gemeinsam mit anderen Frauen aus der Branche, darunter auch Anita Sarkeesian, über Kanäle wie Reddit, Twitter und 4Chan, attackiert. Es kam zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, der Veröffentlichung von privaten Daten und der Androhung eines Amoklaufes.
Anita Sarkeesian und Feminist Frequency
Eine Frau, die von diesen Hassausbrüchen selbst betroffen war, ist Anita Sarkeesian. Sie ist eine feministische Medienkritikerin und Contentproduzentin, die sich unter anderem mit der Darstellung von weiblichen Charakteren in Videospielen auseinandersetzt. Auch in ihrer Videoserie Tropes vs women in video games näherte sie sich diesem Thema an und erlangte Bekanntheit in der Gaming-Welt. Ihr Engagement für Frauen in der Spielebranche reicht jedoch weit über diese Videos hinaus. Auf ihrer Webseite bietet Sarkeesian beispielsweise ihre Unterstützung bei der Produktion von Videospielen an. Dabei liegt ihr Fokus auf der inklusiven Gestaltung der Spiele.
Sarkeesian geht bei ihrer Beratung unter anderem auf problematische Handlungen, Designs und Sprachmuster der Charaktere ein. Mit der Einführung von vielfältigen Persönlichkeiten und Identitäten wird versucht, ein breiteres Publikum zu erreichen. Ihre Dienste wurden bereits von einigen Herstellern in Anspruch genommen. So gehört das französische Unternehmen Ubisoft, welches für die Assassin’s Creed Spiele bekannt ist, zu ihren Kunden. Zusätzlich zu ihrer beratenden Tätigkeit hat sie das Buch „9 tips for designing better female characters in videogames“ verfasst. In ihm finden sich Tipps zur besseren Gestaltung weiblicher Charaktere in Videospielen.
Eines ihrer größten Projekte war allerdings die gemeinnützige Organisation Feminist Frequency, die sie im Jahr 2009 gegründet hat. Die Initiative beschäftigte sich mit Repräsentation und Inklusion in den Medien und war bis Anfang 2024 aktiv. Auf der Webseite von Feminist Frequency wurden Videos und Podcasts veröffentlicht, die Videospiele und andere Medienformate aus einem feministischen Blickwinkel betrachten. Zur Klarstellung spezifischer Ausdrücke, die in den publizierten Inhalten vorkommen gibt es ein eigenes Glossar. Hier sind Begriffe wie „Damsel in Distress“ (=Jungfrau in Nöten) ausführlich erklärt. Auf der Webseite ist außerdem eine Auflistung von Videospielen zu finden, die auch von einem feministischen Standpunkt aus vertretbar sind und weiterempfohlen werden.
Besonders interessant sind auch die Statistiken, die sich mit der Geschlechterverteilung in Videospielen auseinandersetzen. Feminist Frequency analysierte in den Jahren 2015 bis 2020, welches Geschlecht am häufigsten die Rolle des Protagonisten/ der Protagonistin übernimmt. Es stellte sich heraus, dass sich die Zahl der weiblichen Hauptcharaktere 2020 im Vergleich zum ersten Untersuchungsjahr verdoppelt hatte. Trotzdem gab es mit 23 Prozent männlichen und 18 Prozent weiblichen Protagonist:innen immer noch mehr Männer, die die Hauptrolle übernahmen. Der größte Teil der Spiele bietet den Gamer:innen allerdings die Option das Geschlecht ihres Charakters selbst auszusuchen.
Feminismus im Videospiel
Die Zahlen zeigen, dass sich auch die Gaming-Welt weiterentwickelt. Anita Sarkeesian hat mit Feminist Frequency ihren Beitrag geleistet und auf das Thema aufmerksam gemacht. Mit der Beratung diverser Unternehmen kann sie das Problem direkt am Ursprung anpacken. Dennoch ist es wichtig, dass diese Unternehmen bereit sind, ihre Hilfe zu suchen und in weiterer Folge auch anzunehmen. Denn solange das Bewusstsein nicht existiert, dass die Stereotypisierung von Frauen in Videospielen problematisch ist, wird keine Änderung erfolgen. Auch Philomena meint:
Einfach drauf aufmerksam machen, ist glaube ich mal das Erste, wo man ansetzt. Also einfach aufzeigen: Hey, da passiert es und was ist überhaupt Sexismus in Games?
Doch wie verbreitet sich dieses Bewusstsein? Eine Möglichkeit ist, auf die Problematik im eigenen Umfeld aufmerksam zu machen. Spiele mit klischeehaften weiblichen Charakteren zu diskutieren und zu kritisieren. Gleichzeitig schadet es nicht, den eigenen Horizont zu erweitern und inklusive Spiele auszuprobieren und weiterzuempfehlen.
Besonders Eltern könnten diese Strategie bei ihren Kindern anwenden. Wünschenswert wäre, das Bewusstsein der jungen Generation für problematische Charakterdarstellungen zu fördern. Sollte man selbst Interesse daran haben ein Videospiel zu kreieren, kann es hilfreich sein, das Buch von Anita Sarkeesian durchzulesen. Weiters gibt es die Möglichkeit Organisationen zu unterstützen, die sich, genau wie es bei Feminist Frequency der Fall war, für Frauen in der Videospielindustrie einsetzen.
Schlussendlich sieht auch Philomena einen, wenngleich langsamen, Fortschritt in der Darstellung von Frauen in Videospielen. Als Beispiele für eine positive Darstellung nennt sie die Videospiele Horizon Zero Dawn und überraschend auch Tomb Raider. Denn selbst Lara Croft hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Die einst unrealistischen Proportionen und kurzen Gewänder haben mittlerweile einem deutlich glaubhafteren Körperbau und praktischerer Bekleidung Platz gemacht. Ihre Evolution beweist, dass weibliche Charaktere auch ohne Sexualisierung und Stereotypisierung auskommen.
Quellen & weiterführende Infos:
- League of Legends
- Langsam aber sicher: Frauen erobern ihren Platz in der Gaming-Welt
- Mehrheit kritisiert Frauenbild in Videospielen
- Männer und Frauen finden Frauenbild in Videospielen diskriminierend
- Anita Sarkeesian
- Anita Sarkeesians Videoreihe: Tropes vs women in video games auf youtube
- Feminist Frequency
- Assassin’s Creed Spiele
Illustration: Fiona Walatscher
Weiterlesen? 2023 ist in Zusammenarbeit mit den Student:innen der FH St. Pölten der Schwerpunkt Gender und Diversität in den Medien entstanden.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Bachelorstudiengang Medienmanagement an der FH St. Pölten im Wahlpflichtmodul „Mediensoziologie, Gender und Diversity“ (Leitung: Mag. Dr. Gaby Falböck; LV-Mitverantworliche: Mag. Christina Krakovsky) entstanden.
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